der rechte rand
: Alltägliches Treiben

Zuerst wurde „Sieg Heil!“ gerufen und „Asi!“, dann setzte es Schläge. Zufällig begegnete der Jugendliche der Gruppe Neonazis. Unter dem Gegröle der anderen schlug ein Rechter ihm derart fest ins Gesicht, dass ein Backenzahn zerbrach. Das war am 15. August in einer Kleinstadt nahe Ludwigslust. Den genauen Ort will der Betroffene nicht nennen – aus Angst, wieder angriffen zu werden. Der Jugendliche ist nur eines von vielen Opfern rechter Angriffe in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Übergriffe von NPD-Sympathisanten im dortigen Landtagswahlkampf haben in den vergangenen Wochen viele Schlagzeilen gemacht. Nur kleine Nachrichten löste dagegen die Veröffentlichung der „Landesweiten Opferberatung, Beistand und Information“ (Lobbi) aus. Einmal mehr musste deren Sprecher Kay Bolick dieser Tage erklären: „Die rechte Gewalt ist wieder gestiegen.“ Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2005 haben die rassistisch motivierten Übergriffe demnach um mehr als das Doppelte zugenommen. Vom 1. Januar bis zum 30. Juni wurden „49 Fälle“ mit über 50 direkt Betroffenen registriert. Die jüngsten Drohgebärden gegenüber Politikern, die Übergriffe im Wahlkampf seien erschreckend, sagt Bolick. Ohne dadurch verharmlosen zu wollen, betont er aber im selben Atemzug, wie alltäglich Angriffe auf vor allem nicht-rechte Jugendliche und „ausländisch Aussehende“ seien. „Eine Reaktion der Parteien aus dem Schweriner Schloss zu unseren Zahlen ist uns nicht bekannt“, sagt er.

„Kein neues Thema“, sagt die Sprecherin des mecklenburg-vorpommerschen Innenministeriums, Marion Schlender, gegenüber der taz. Eigene Halbjahreszahlen zu rechts motivierten Straftaten veröffentliche das Ministerium nicht. „Wir führen eine Jahresstatistik“, erläutert Schlender. Darin würden „dann auch alle Fälle, die offiziell bestätigt sind, aufgenommen“.

Bei Lobbi weiß man allein von 33 Fällen von Körperverletzung. Die Organisation zählte zudem sieben Bedrohungen und neun Sachbeschädigungen. In den ersten sechs Monaten des Jahres betreute Lobbi mehr als einhundert direkt Betroffene, Freunde und Angehörige. Die Dunkelziffer ist höher, so Bolick. Aus Angst oder Scham melden sich längst nicht alle Opfer. „Anzeigen stellen viele nicht“, sagt die Lobbi-Mitarbeiterin Claudia Teichmann. Sie sei oft überrascht, mit welchem Gleichmut die geschädigten Opfer reagierten: „Für viele“, sagt Teichmann, „sind die Übergriffe längst Alltag.“

So erwarten gerade Opfer mit Migrationshintergrund selten noch, dass sich jemand um sie kümmere. Die Betroffenen, sagt Bolick, seien umso froher, „wenn wir an sie herantreten und fragen, wie es ihnen geht“.

Seit fünf Jahren hilft Lobbi den Opfern rechter Übergriffe die psychischen Folgen aufzufangen, organisiert rechtlichen Beistand oder auch materielle Hilfe. Die Bewältigung der psychischen Folgen oder die Begleitung bei Gerichtsverhandlungen dauern oft Monate bis Jahre, berichten die Mitarbeiter. Ende des Jahres indes laufen die Fördermittel des Bundes aus. Eine weitere Finanzierung ist offen, die Zukunft der Lobbi-Arbeit unsicher.