Die Tränen des Muttertiers

Seit heute liegt Eva Hermans Entwurf der „neuen Weiblichkeit“ auch in Buchform vor: „Das Eva Prinzip“. Ex-Familienministerin Renate Schmidt hat es bereits gelesen – und ist entsetzt über dieses „Barbiepuppen-Weltbild“

VON RENATE SCHMIDT

In den wenigen Tagen nach meinem Urlaubsende weiß ich einiges mehr, fragt sich nur, ob ich das wissen wollte: dass sich Frau Herman nach dem früh verstorbenen Vater sehnt, nicht gestillt wurde, aber buchschreibenderweise das Stillen erfunden hat. Dass das Nicht-gestillt-worden-Sein ihre drei gescheiterten Ehen verursacht hat. Dass sie eine Terrierhündin mit zwei Welpen hat. Und nur einen Sohn, obwohl sie gerne fünf Kinder hätte und nie, niemals nicht Tagesschausprecherin hätte werden sollen, sondern am allerliebsten einen Mann und fünf Kinder zu Hause versorgt hätte.

Schwülstiges Geschreibsel

Dann wäre allerdings das Buch „Das Eva-Prinzip“ nie erschienen. Kein Verlag hätte dieses schwülstige Geschreibsel auch nur mit spitzen Fingern angefasst – ein Geschreibsel, das versucht, ein Feindbild, die Frauenbewegung, noch mit Jahrzehnten Verzögerung zu besiegen, und das en passant noch die Menschen in den fünf neuen Ländern diskreditiert.

Frau Herman erhebt nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, spricht aber davon, dass Zahlen, Fakten und Erkenntnisse der letzten Jahre für ihre Thesen sprechen. Mit Verlaub: Das ist falsch. Das Ärgerliche an der Herman’schen Suada ist aber nicht nur der pastorale und selbstgerechte Stil. Die weinerliche Überheblichkeit, die sich durch das Buch zieht. Die sich über alle Erkenntnisse hinwegsetzenden Thesen. Oder dass Herman die Erfolge der Frauenbewegung nicht wahrhaben will. Sondern dass alle und alles so bleiben kann wie bisher, nur die Frauen müssen sich ändern – und zwar zurück: „Es ist (…) völlig legitim, wenn einige Frauen den Drang in sich spüren, sich nicht ‚zum Muttertier abwerten‘ lassen zu wollen. Auf der Flucht vor dieser Fessel sind sie jedoch in die falsche Richtung gelaufen. Nun müssen sie den ganzen Weg wieder zurückgehen, um mit der eigentlichen Aufgabe überhaupt beginnen zu können.“

Und das ist die Mission der Frau Herman: Den Kampf ums Frauenbild hat leider die falsche Seite gewonnen. Er führte „ganz eindeutig zu einem Sieg der Feministinnen, die die unabhängige und unweibliche Frau als Vorbild durchsetzten. Und das aus einem einfachen Grund: Berufsfeministinnen bilden ihre eigene Lobby, sie schreiben Artikel und Bücher, machen Politik und gestalten Gesetze. Hausfrauen und Mütter haben diese Möglichkeiten nicht. Aus diesem Grund entstand dieses Buch.“

Und damit sind wir beim Feindbild Nummer eins: die Frauenbewegung und die Emanzipation der Frauen.

Emanzen benehmen sich unmöglich, sind in Restaurants Nervensägen, zerkratzen Männerautos auf Frauenparkplätzen, sind schlecht, also nicht à la Herman, gekleidet und sind ausschließlich wegen ihrer Selbstverwirklichung erwerbstätig. Sie sind, wenn sie denn Kinder haben, generell überfordert, und wenn sie keine haben, grundsätzlich unglücklich. Die von Herman geschilderten Simonen, Ines, Adas usf. haben alle unerfüllte Leben, sind beziehungsunfähig oder brechen ob ihrer uneingestandenen Überforderung kollektiv in Tränen aus. Herman beschreibt hier Probleme einer kleinen Minderheit, Luxusprobleme, die mit der Lebenswirklichkeit der Verkäuferin, der Krankenschwester oder Sekretärin rein gar nichts zu tun haben.

Für die, die einen Beruf ausüben müssen (und wollen), und zwar nicht für die vierte Urlaubsreise oder das größere Auto, sondern für den Lebensunterhalt ihrer Kinder, hat Frau Herman dagegen nur einen blümeranten Absatz übrig: Ihnen müsse die Politik entgegenkommen – was immer das heißen mag.

Die Errungenschaften der Frauenbewegung – Befreiung von sexueller Gewalt und politischer Ungleichbehandlung fallen ihr dazu ein – schreibt Herman dem Grundgesetz zu. Dass der Artikel 3 und seine Ergänzung eines intensiven Kampfes der Frauenbewegung bedurft haben, weiß sie offenbar nicht. Diese Kämpferinnen, angefangen von Elisabeth Selbert über Annemarie Renger, Alice Schwarzer, Inge Wettig-Danielmeier bis zu Waltraud Schoppe, Regine Hildebrandt und Rita Süssmuth (übrigens nahezu alle auch Mütter und nicht „kinderlose Karrierefrauen“), haben dazu beigetragen, dass Frauen wie Frau Herman überhaupt eine Chance hatten. Und das Ziel ist noch nicht erreicht, gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Teilen der bezahlten und unbezahlten Arbeit, diese Ziele sind aktuell wie je und sind an dem Barbiepuppen-Weltbild von Frau Herman offensichtlich vorbeigegangen.

Ihr zweites Feindbild: die Kinderbetreuung.

Damit das Eva-Prinzip à la Herman funktioniert, muss man der Mehrheit der Frauen, die ihren Job, ihre Kinder und ihre Partnerschaft ganz gut unter einen Hut bringen, unter anderem weil sie sich die Arbeit mit ihren Partnern teilen, ein schlechtes Gewissen einjagen. Und dies tut Herman, indem sie jede Kinderbetreuung, insbesondere die in den neuen Bundesländern, verteufelt: Kein Kind erträgt den Trennungsschmerz, Tagesmütter sind generell unqualifiziert, alle Betreuungseinrichtungen sind schlecht und Ausnahmen bestätigen nur diese Regel.

Schlechtes Gewissen

Kinder werden mit schlechtem Gewissen „abgegeben“. Verhaltensauffälligkeiten, Drogenkonsum und Gewalttätigkeit bis hin zu Kriminalität unserer Kinder sind die zwangsläufige Folge, so Frau Herman. Vielleicht sollte sie registrieren, dass in den Ländern, in denen Frauen überdurchschnittlich häufig erwerbstätig sind, nicht nur die Geburtenrate deutlich höher als in Deutschland ist. Die Kinder sind weder verhaltensauffälliger noch krimineller. Im Gegenteil, sie haben sogar noch bessere Pisa-Ergebnisse. Es ist sicher so, dass Qualitätsstandards für Kindertagesstätten noch zu selten eingehalten werden und dass die Personalschlüssel verbesserungswürdig sind. Hier hat Frau Herman Recht, doch schüttet sie das Kind mit dem Bade aus, wenn sie Krippen dann gleich ganz ablehnt.

In der DDR fühlten sich Mütter besser unterstützt als heute – ohne dass deshalb Erziehungsmethoden und -inhalte glorifiziert werden dürfen. Es wurde ein bezahltes Mütterjahr eingeführt, kranke Kinder konnten großzügig betreut werden. Mütter von mehreren Kindern mussten bei gleicher Bezahlung weniger arbeiten. Viele heutige junge Erwachsene reden von ihrer Kita-Zeit nur positiv und viele Mütter wünschten sich, dass ihr Muttersein von den Arbeitgebern heute so akzeptiert würde, wie es seinerzeit in der DDR der Fall war.

Was sich ändern muss: Der Faktor Zeit.

Es wird sich nichts ändern, wenn Fakten verdreht und untaugliche Lösungen à la Herman angeboten werden. Ja, die Geburtenrate hängt von der Erwerbstätigkeit der Mütter ab, aber anders, als Herman meint. Die Geburtenrate ist dort in Europa am höchsten (Island, Frankreich, Skandinavien), wo die Erwerbsbeteiligung der Frauen am höchsten und die Kinderbetreuung qualitativ gut und quantitativ ausreichend ist.

Erwerbstätige Mütter aber sind laut Studien nicht kurz vor dem Suizid, wie Herman meint, sondern ausgeglichener und zufriedener als nichterwerbstätige. Und sie kümmern sich im Übrigen genauso intensiv um ihre Kinder wie nichterwerbstätige.

Die Rolle der Männer hat sich nur unwesentlich verändert, stellt auch Herman fest. Die Schlussfolgerung kann aber nicht sein, dass sich die Frauen wieder zurückändern müssen. Vielmehr müssen Männer die Scheu vor dem feuchten Textil verlieren (vor Windel, Wischtuch, Wäsche). Andererseits dürfen Familien- und Hausarbeit kein Karrierehindernis bleiben.

Das übrigens ist der Wunsch der schweigenden Mehrheit, die Herman zu vertreten vorgibt. 70 Prozent der nichterwerbstätigen Mütter wären lieber wenigstens in einer großen Teilzeitstelle erwerbstätig. Nahezu ein gleich hoher Prozentsatz der Väter wünscht sich mehr Zeit für die Familie und wäre, wenn es nicht mit Berufs- und Karrierehindernissen verbunden wäre, gerne eine Zeitlang Hausmann. Über die Verantwortung der Wirtschaft für mehr Elternzeit für Kinder schweigt sich Frau Herman aus.

Das heißt aber auch: 30 Prozent der Mütter sind gerne zu Hause. Dieses Lebensmodell verdient denselben Respekt und wird nach wie vor vom Staat (Ehegattensplitting, Kranken- und Rentenversicherung) weit mehr gefördert als die Ehe mit Kindern und zwei Einkommen. Politik und Moderatorinnen haben den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen, sondern dafür zu sorgen, dass sie leben können, wie sie leben wollen.

Der Hälfte der Bevölkerung, den Frauen, wird immer aufs Neue die Entscheidung abverlangt. Entweder sie leben das, was nach außen wirkt, als Beruf und Erfolg. Oder sie leben das, was nach innen wirkt, also Liebe und Familie. Ein solcher Entscheidungszwang zwischen beruflichem Erfolg und Liebe und Familie ist zutiefst inhuman. Genau den fordert aber Frau Herman.

Wenn aber die Arbeitsteilung bleibt, wie sie es wünscht, bleiben auch alle Missstände. Die Kindheit bleibt verweiblicht. Die Frauen bleiben in Führungspositionen unterrepräsentiert oder kinderlos. Die Männer lernen weiterhin nur einen Teil ihres möglichen Lebensspektrums kennen und werden weiterhin, weil sie sich ausschließlich über ihren beruflichen Erfolg definieren, eine durchschnittlich geringere Lebenserwartung haben. Frauen und Männer wollen das zunehmend nicht mehr. Die schweigende und die redende Mehrheit fühlen sich durch Frau Herman nicht vertreten.

Und deshalb ist das Eva-Prinzip nicht mehr als eine missglückte Eigentherapie. Es wäre gut gewesen, Frau Herman hätte ihren eigenen Rat beherzigt: „Wir Frauen sollten häufiger mal den Mund halten.“ Si tacuisses, Eva.

Renate Schmidt (MdB, SPD), 62, war von 2002 bis 2005 Bundesfamilienministerin. Wegen der Geburt ihrer Tochter Jenny verließ sie 1961 vorzeitig das Gymnasium und absolvierte eine Ausbildung als Programmiererin bei Quelle. 1980 kandidierte sie erstmals erfolgreich für den Bundestag.