Projekt: Karriere-Konsolidierung

Mit Mitte zwanzig heißt es als ehemaliger Teenie-Star, sich an die Bestandssicherung zu machen. Christina Aguilera erfindet sich mit ihrem neuen Album als ernsthafte Künstlerin, Beyoncé Knowles macht einfach weiter. Kelis bleibt so radikal wie gehabt

Das Sichern des Erreichten führt in den Stillstand. Wer nicht abstürzen will, der muss sich, Madonna hat’s vorgemacht, ständig neu erfindenKnowles jagt ihre Stimme durchdas aus dem Soul altbekannte Wechselspiel zwischen Sexualisierung und Gottesfurcht

VON THOMAS WINKLER

Es war ein hartes Stück Arbeit. Trainiert in Kirchenchor und Musikschulen, getriezt von ehrgeizigen Eltern, vorbereitet in Talentwettbewerben, gestählt in der Maschinerie Teeniepop, gehärtet in den Klatschspalten: Beyoncé, Christina, Kelis. Wer von der Presse nur beim Vornamen gerufen und vom Publikum so erkannt wird, der hat es geschafft.

Aber jetzt erst beginnt die Schufterei. Denn oben zu bleiben, das stellt sich als ungleich komplizierter heraus, als dorthin zu gelangen. Irgendwann wird der Status quo zum Rückschritt, irgendwann ist das Sichern des Erreichten nur mehr Stillstand. Irgendwann steht sie an, die Karrieretransformation. Wer nicht abstürzen will, der muss sich, Madonna hat’s vorgemacht, ständig neu erfinden.

Keine der drei allerdings bemüht sich so massiv um eine Kurskorrektur wie Christina Aguilera. Ihr neues Album „Back to Basics“ ist eine Doppel-CD mit 22 Stücken, und bei jedem einzelnen wird sie als Ko-Autorin geführt. Auf dem Cover räkelt sie sich wie ein klassischer Hollywood-Vamp, die Gestaltung zitiert die goldenen Zeiten des Jazz, und der erste Song ist nicht umsonst eine programmatische Ehrerbietung: „So here I stand today/ In tribute I do pay/ To those before me who laid it down and paved the way“. Jedes Detail signalisiert: Von nun sollt ihr mich endlich ernst nehmen. Hier will jemand mit Macht erwachsen werden. Mit 25 Jahren und frisch verheiratet will Christina nun eine Mrs. Aguilera sein.

Begonnen hat ihre Karriere im eigenen Kinderzimmer. Als Publikum rückte die kleine Christina die Teddybären in Positur, als Repertoire dienten alte Standards aus der Plattensammlung ihrer Großmutter. Mit Songs von Billie Holiday oder Ella Fitzgerald reüssierte sie bei Talentwettbewerben, bevor sie als Moderatorin des „Mickey Mouse Clubs“ zusammen mit Britney Spears auf dem Bildschirm landete. 19 Jahre war sie alt, als sie mit dem Hit „Genie in a Bottle“ zum Teenie-Star aufstieg. Vor drei Jahren schließlich der erste Versuch, diesem Korsett zu entkommen, mit autobiografischen Songs über den schlagenden Vater und illustriert durch die Metamorphose zum Schmetterling im Videoclip für „Fighter“.

Mit „Back To Basics“ ist die Verwandlung nun abgeschlossen, indem ewige Klassiker aus Jazz und Soul gegen das schnelllebige Popkonzept in Stellung gebracht werden. Denn das Album mag, auch dank der Mitarbeit solcher Größen wie DJ Premier, der schon für Gang Starr alte Jazzplatten nach Samples durchforstete, soundtechnisch auf der Höhe der Zeit sein, zollt aber vor allem Aguileras früher Vergangenheit Tribut: In „Back in the Day“ fallen Namen wie Marvin Gaye, Etta James, Otis Redding, John Coltrane, Aretha Franklin, Nat King Cole, Miles Davis. Im schon vom Titel her altertümlichen „Candyman“ findet sich ein ausführliches Call-and-Response, „I Got Trouble“ knistert wie eine Schellack-Aufnahme, in „Nasty Naughty Boy“ wird zum Schieberblues mit viel Gestöhne und Geseufze eindrücklich ein Beischlaf nachgestellt: „Come on, Daddy“.

Ihre alte Konkurrentin Britney Spears hat Aguilera längst hinter sich gelassen, der Verweis auf die Historie soll sie nun endgültig vom Teenie-Star zur Künstlerin befördern. Die ausreichend gewaltige Stimme dazu hat sie schon lange, aber die Bezugnahme auf klassische Genres sollen sie nun unabhängig machen von den Unwägbarkeiten des Popmarktes. Allerdings: So brillant einzelne Tracks geraten sind, Aguilera hat kaum mehr gewagt, als ein vergilbtes Poesiealbum zu vertonen. Das hat Charme, läuft aber aufgrund des demonstrativen Ernsts der Unternehmung bisweilen Gefahr, zur Parodie zu verkommen.

Solche Sorgen muss sich Beyoncé Knowles erst gar nicht machen. Zwar wurde auch sie von frühester Kindheit auf eine Karriere im Showgeschäft getrimmt und durchlief wie Aguilera die Ochsentour aus Talentwettbewerben und Casting-Shows. Aber seit ihren Zeiten als unbestrittene Chefin des R’n’B-Trios Destiny’s Child hat sie es verstanden, ihre verschiedenen Rollen als Interpretin und Autorin, Schauspielerin und Musikunternehmerin nahezu gleichberechtigt ins rechte Licht zu rücken. Selbst die nackte Haut, die den Verkauf des Hochglanzpops ankurbelte, war schlussendlich stets familienverträglich und wurde erfolgreich ins Image der selbstbewussten Karrierefrau eingebaut. So war Knowles die erste Afroamerikanerin, die die Vanity Fair auf ihr Titelbild ließ, während sie von der New York Times zur Speerspitze eines „neuen Feminismus“ ernannt wurde.

Auch auf ihrem neuen Album „B’Day“ bedient sie weiter das eroberte Marktsegment und schlüpft noch einmal dankend, schließlich klingeln die Kassen wie bei keiner ihrer Konkurrentinnen, in den Part des feuchten Männertraums, wenn sie in „Suga Mama“ einen Platz auf ihrem Schoß anbietet. So verwaltet Knowles ihren von der entsprechenden Forbes-Liste vor zwei Jahren festgelegten Status als einflussreichste Musikerin dieses Planeten, jagt ihre glockenhelle Stimme durch das aus dem Soul altbekannte Wechselspiel zwischen Sexualisierung und Gottesfurcht und rekapituliert noch einmal alle Zutaten moderner Black Music. Von den synkopierten Beats über die sich vielfach überlagernden Stimmen bis zu den flächigen Streicher-Samples, von den lasziven Balladen bis zu den tanzbodentauglichen Uptempo-Nummern. Traditionell auch die mit äußerster stimmlicher Selbstentäußerung vorgetragene Verlassensangst, bei deren Überzeugungskraft man glatt vergessen könnte, dass die seit Montag 25-Jährige zusammen mit Rapper und Plattenfirmenchef Jay-Z das Traumpaar des amerikanischen Unterhaltungsgewerbes bildet.

Konsequent versucht Knowles auf „B’Day“ sich ein weiteres männliches Refugium zu erobern. Indem sie kein Risiko eingeht, ihr Image unverändert lässt und musikalisch ihrem bisherigen Schaffen keine wesentlichen Neuerungen hinzufügt, verstößt sie gegen die Regeln, die für weibliche Stars gelten und denen sich Aguilera noch beugt. Denn nur der Mann darf unverändert er selbst sein, darf sich rekapitulieren, sich treu bleiben, sich wiederholen und das Verfeinerung nennen, die notfalls bis zur Meisterschaft getrieben wird, sei sie auch noch so langweilig.

Es ist die erste Szene des Videoclips zu ihrer aktuellen Single „Bossy“, wo Kelis Rogers sich ihres gewaltigen wie bunt gefärbten Afros entledigt – damit aber ist die Anpassung beendet, denn auf „Kelis Was Here“ rückt die 27-jährige New Yorkerin ansonsten keinen Deut ab von ihrem künstlerisch radikalen Entwurf. Zwar baut auch sie auf das bislang Erreichte, aber während Knowles sich hinter dem perfekten Handwerk versteckt, wagt Kelis wieder einmal, sich in kein Vermarktungsmuster zu fügen. Schon 2001 wurde ihr zweites Album „Wanderland“ von der Plattenfirma in den USA als nicht vermarktbar weggesperrt, die Veröffentlichung des Nachfolgers „Tasty“ so lange geschoben, bis ihn kaum noch jemand hören wollte. Was als hoffnungsvolle Karriere als Protegée der damals sich gerade zu Überproduzenten entwickelnden Neptunes begann, das wollte nie so recht weiter wachsen: Kelis fand zwar ihre Fans, aber es waren nie die Massen, die Aguilera oder Knowles an den Lippen hingen.

Die werden wohl auch künftig kaum das Lager wechseln, denn textlich ist Kelis entschieden brüsker als ihre Kolleginnen, propagiert offensive Sexualität in „Blindfold Me“, in dem ihr Ehemann Nas ein paar Zeilen rappt, und weibliche Selbstermächtigung: „You wanna get in my pants?/ I don’t think so“.

Auch musikalisch kam schon lange kein auf den Mainstream-Markt schielendes Pop-Album mehr so geschichtsbewusst und eklektisch daher: „Till The Wheels Fall Off“ ist ein altmodischer Soul-Kracher mit Breitwandbläsern, „Handful“ klingt wie die Musikstunde im Ghetto-Kinderladen, „Bossy“ ist ein auf den stumpfen Beat einer 808-Rhythmusmaschine setzender Party-Track und „Goodbyes“ ist gleichzeitig Piano-Ballade und Dance-Track. „Kelis Was Here“ ist nicht nur so abwechslungsreich, weil Rogers erstmals ganz ohne die Neptunes gearbeitet und stattdessen verschiedene Produzenten engagiert hat, sondern auch aus Prinzip: „But they told me this is how to get rich ya’ll/ Make a hit song, same lame lyrics, same bass, same kick drum“, erklärt sie sich in „Circus“, das musikalisch anknüpft an die Spoken-Word-Tradition von den Last Poets bis hin zu Ursula Rucker.

Noch weiter zurück reicht das „Intro“ des Albums, eine kurze, kaum anderthalb Minuten lange Eröffnung. Der melancholisch verzögerte Marschrhythmus und das verträumte Pfeifen lassen sich lesen als Kommentar zum Musikgeschäft, in dem die Versklavung der afroamerikanischen Minderheit mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Mit diesem Geschäft hat Rogers ihre Erfahrungen gemacht. „This is my story/ This is my mark“, singt sie. Vielleicht kommt irgendwann doch noch der Tag, an dem Frauen auch im Pop ohne Einschränkung ernst genommen werden. Kelis Rogers wird man dann womöglich nachträglich ein Denkmal setzen müssen.

Kelis: „Kelis Was Here“ (Virgin); Beyoncé: „B’Day“ (Columbia/SonyBMG); Christina Aguilera: „Back to Basics“ (RCA/SonyBMG)