Klingeln oder nicht klingeln

In „House/News From Home“ trifft der Filmemacher Amos Gitai zum dritten Mal seit 1980 Menschen, die in einem einzigen Haus in Jerusalem gelebt und gearbeitet haben

Amos Gitai kommt nicht los von diesem Haus. Zum dritten Mal ist er losgezogen, mit Kamera und Mikrofonmann im Schlepptau, und hat sich in und um das Haus herum auf Spurensuche gemacht. 1980 hat er das zum ersten Mal getan – damals fand das Fernsehen seinen Film über das Haus zu provokant und strahlte ihn nicht aus. Gitai ist wiedergekommen, erst 1996 und dann noch mal im letzten Jahr. Zu diesem Haus in einer bürgerlichen Wohngegend, das einen Garten hat und mit Palmen und Bougainvillea bewachsen ist und das in der Dor-Vedorshav-Straße in Westjerusalem steht.

Jetzt also ist die Geschichte des Hauses schon eine Trilogie, und natürlich ist sie vielmehr die Geschichte der Menschen, die in ihm gelebt und an ihm gearbeitet haben. Der Filmemacher Gitai hat Bewohner getroffen, Bauarbeiter und Nachbarn interviewt und ist ehemaligen Eigentümern nachgereist. „Als Dokumentarfilmer ist man ein Archäologe menschlicher Schichten“, sagt er, und dass das Haus für ihn eine offene Grabungsstelle sei. Bei seinem Graben hat Gitai ein dickes Knäuel an Lebensgeschichten freigelegt – palästinensische und jüdische.

Die palästinensische Familie Dajani, in Jerusalem ansässig seit 700 Jahren, verließ das Haus im Krieg von 1948. Die israelische Regierung enteignete es und vermietete es an jüdisch-algerische Immigranten. Dann kaufte es in den Achtzigern ein Uniprofessor – und seitdem hat es wechselnde Besitzer gehabt, die es immer wieder umbauen ließen, von palästinensischen Bauarbeitern.

Mohamed Sajd zum Beispiel, der 1980 noch von weißem Staub überzogen als Steinmetz schuftete. Auch ihn besucht Amos Gitai 2005 im Westjordanland wieder: Alt ist er geworden, und von seinem Hass gegen die Juden, die 1948 sein Dorf zerstörten, redet er nicht mehr. Aber er erinnert sich noch an die Apfelbäume und die Weinreben, die unten an der Quelle wuchsen. Seit den 60er-Jahren fließt das Abwasser von Jerusalem durch das Tal, und der Wein trägt keine Früchte mehr. Mohamed Sajd weint. Dann klappert Gitai Familienmitglieder der Dajanis ab, den ursprünglichen palästinensischen Hausbesitzern – einen Arzt in Ostjerusalem und dessen Bruder in Amman. Er trifft auf fließend Englisch sprechende, feine Menschen, die Fotoalben herauskramen, in denen sich eine großbürgerliche Sozialisation zwischen Dreirädern, Knickerbockern und Cabriolets spiegelt. Die 80-jährige Cousine Rabija verlegt verschmitzt lächelnd und mit Blumen im Haar sogar den Start der Frauenemanzipation ins Jerusalem der 40er-Jahre.

Sie alle sagen, dass sie nicht mehr daran denken wollen, was sie verloren haben. Erst als Dr. Dajani zusammen mit Amos Gitai vor dem Haus steht, von einem Bein aufs andere tritt und sich nicht traut zu klingeln, bricht die alte Verletzung aus ihm hervor.

Hätte er geklingelt, hätte er Claire Cesari getroffen, die erst kürzlich von Paris nach Israel umgesiedelt ist und sich noch nicht so recht entscheiden kann, ob sie lieber noch Französisch oder schon Hebräisch sprechen soll. Sie erzählt von ihrer Sehnsucht nach ihrer Geburtsstadt Istanbul. Etwas trotzig sagt sie noch, dass Dr. Dajani ruhig hätte klingeln sollen, sie hätte ihm dann gesagt: „Natürlich haben nicht die Araber die Schoah verschuldet, aber ich habe die Geschichte auch nicht gemacht.“

Der 1950 geborene Filmemacher Gitai frischt seine seit 25 Jahren bestehenden Kontakte auf und sucht nach neuen. Die kleinen Biopics, die er aneinandercollagiert, ergeben ein klares Bild: Kulturelle Unterschiede lassen sich kaum beobachten, wenn überhaupt, dann sind es ökonomische. Viel deutlicher wird das Gemeinsame der palästinensischen und jüdischen Menschen, die mit dem Haus irgendwie verbandelt sind: Sie alle sind auf ihre Art Flüchtlinge, Vertriebene. Da, wo sie jetzt wohnen, haben sie keine Wurzeln. Dieses Moment schält Gitais Film als verbindendes Element heraus, als reine Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen. Noch aber stehen die einen verletzt davor, und die anderen sitzen ein bisschen ängstlich ihre Legitimation beschwörend drin. Dabei ist das Haus eigentlich ganz schön groß. KIRSTEN RIESSELMANN

„House/News from Home“, R.: Amos Gitai. Doku, Israel/B/F 2006, 97 Min., Arab./Hebr./Engl. mU, Eiszeit-Kino