Eine Frage des Geschmacks

Mysterium Vorhaut: Beim einen Mann zipfelt da unten etwas, beim anderen nicht. Es braucht schon etwas Erfahrung, bis Frau – und nicht nur die! – die feinen Unterschiede in der Ausstattung durchschaut

VON SHELLEY MASTERS

Der Penis und die dazugehörige Vorhaut meines ersten Freundes waren dankbare Objekte meiner frühesten Studien zur männlichen Sexualität. Nach der Schule verbrachten wir Stunden beim Erforschen seiner (des Penisses) und ihrer (der Vorhaut) Funktionen und Bedürfnisse sowie der faszinierenden Funktionsgeheimnisse. Mangels offizieller räumlicher Möglichkeiten im frühen Teenageralter verbrachten wir unzählige Stunden zunächst im Treppenhaus seines elterlichen Wohnhauses, später, als die Nachbarn sich über unser Herumlungern beschwerten, wichen wir in den Keller aus. Er war fünfzehn, ich dreizehn und noch längst nicht bereit für alle Schandtaten. Ich durfte ihn anfassen, er jedoch nichts an mir. Er war mein Studienobjekt: Bevor ich jemanden an meinen sich verändernden Körper lassen wollte, musste ich erst wissen, was mich erwartete!

Mein fast kindlicher Wissensdrang trieb mich zur Ausbildung allerlei haptischer Fähigkeiten, ausführlich informiert wollte ich sein, das Handwerk lernen. Schnell begriff ich: „Führe die Vorhaut – führe den Mann!“ Er war mir ein dankbarer, handlenkender Lehrer in Bezug auf den lustig flappernden, kleinen und doch so lustbringenden Zipfel Männlichkeit, auf den dunklen, feuchten Kellertreppen, und ich ahnte lange nicht, dass auch männliche Wesen ohne dieses easy-to-handle device existierten.

Wie denn auch? Als ich meine knallhart geplante Entjungferung von einem schönen Gleichaltrigen aus meiner Klasse durchführen ließ, der es laut Schulkameradinnen „schon konnte“, begegnete ich zum ersten Mal einem beschnittenen Exemplar. Nicht nur erschreckt war ich – ganz hilflos! Nichts zum Hoch- und Runterschieben, mit leichtem Druck, so wie ich es ordentlich und konsequent, mit immer wachsendem Einfühlungsvermögen, in den Keller-Sessions gelernt hatte.

Doch ein Glück: Der Vierzehnjährige hatte Energie genug, das ihm aufgetragene Werk auch ohne tollpatschige Stimulationsversuche meinerseits zu bewältigen. Im Freundinnenkreis diskutierten wir hinterher mit Verve das Thema „Erscheinungsbilder männlicher Geschlechtsorgane“, doch einen Durchblick hatte mit vierzehn noch keine von uns. „Manche haben halt ’nen Zipfel, manche nicht“ war, worauf wir uns, mangels Internet und anhand von unvollständig erklärenden Schulbiologiebüchern, beim Teetrinken im Jungmädchenzimmer einigen konnten. Faszinierend genug war allein schon die Tatsache, dass wir durch lässiges Hin- und Herschieben eine Erektion erzeugen konnten, die, das checkten wir Girls ganz schnell, uns zumindest für den Aktionszeitraum Herrin über die Jungchen werden ließ. Doch als ich das erste Mal von oralem Sex hörte, bekam ich Angst. Was tun mit der Vorhaut? Ich beschloss, diese Technik, wenn überhaupt, an einem Exemplar ohne Zipfel zu testen.

Zehn Jahre später

Mittlerweile hatte ich eine vierjährige Beziehung hinter mir, mit einem Mann ohne Vorhaut – ohne sicher zu wissen, dass er beschnitten war, da er, wie ich erst noch später verstehen sollte, einen high and loose cut trug (nach der offiziellen Beschreibung: „Der Übergang kann im unerigierten Zustand einen Hautwulst verursachen oder über der Eichel liegen“). In diesen vier Jahren war ich mir über meine manuellen Anwendungen nie wirklich sicher, doch auch hier bescherten mir das Hören auf meine innere Stimme, mein Einfühlungsvermögen und die daraus resultierenden Ergebnisse erfreuliche Erfolge. Trotzdem war ich permanent irritiert: Irgendwie konnte ich Haut bewegen, aber es zipfelte nichts vornedran. Zum Ende der Beziehung hin, das spätjugendliche Vertrauen wuchs, traute ich mich zum ersten Mal, meine heutige Flirt-Eingangsfrage zu stellen: „Bist du eigentlich beschnitten?“, was mein Gegenüber als Witz bewertete und lachend mit „Natürlich – wie kannst du das nicht wissen!“ beantwortete. Im stillen Innern war ich mir immer noch nicht sicher, wie man diese Beschaffenheit mit dem im Keller Gelernten in Einklang bringen konnte.

Nach diesen vier Jahren der Monogamie widmete ich mich Erlebnissen im Allgemeinen und im Speziellen, irgendwie hatte ich dabei vergessen, in einer Jahre dauernden Amnesie, auf das Aussehen der unerigierten Penisse zu achten, zumal sie mir kaum noch unter die Hände kamen. One-Nighter und andere schnelle, niemals lange dauernde Begegnungen ließen mich einfach nicht in Kontakt mit den wabbeligen Originalversionen kommen, ob nun cut oder uncut. Klar kümmert sich frau beim festen Freund auch ums kleine, weiche Würmchen, wenn Sonnenstrahlen an einem schönem Sonntagmorgen durch Vorhänge fallen, der Rausch der Nacht nachhallt und zur Reaktivierung treibt. Bei den schnellen Sachen hingegen galt: Bevor die Härte nicht gespürt ist, durch dicke Jeans in dunkler Disco-Ecke, wird auch nichts den Intimbereich Freilegendes arrangiert.

Noch ein paar Jahre später

Mittlerweile kann ich mit Bestimmtheit erkennen, wer beschnitten, wer naturelle geht und vor allem: wer unter schlimmer, unerkannter Phimose leidet. Als ich das erste und zugleich letzte Mal auf die Idee kam, unwissentlich mit einem von Vorhautverengung betroffenen Mann zu schlafen, konnte ich mir, auf nun fast 20 Jahre sexuellen Einfühlungsvermögens zurückblickend, vorstellen, welche Schmerzen diese Person beim Sex quälen mussten.

Im Überschwang versehentlicher Verliebtheit informierte ich mich und erkannte, dass eine Beschneidung bei diesem Manne dringend geboten sei. Im Internet entdeckte ich den Beschneidungsring. Angeblich soll mit ihm das in verschiedenen Kulturen jahrtausendelang Geübte quasi im Alleingang vonstatten gehen, unter Aufsicht eines Urologen. Das Merkblatt zum Circ Ring las sich safer als jedes Brotbackrezept: „Sichere Anwendung! Keine Injektionen in den Penis! Keine sich schlecht lösenden Fäden! Verschiedene Beschneidungsstile möglich! Nähte oder Skalpellschnitte nicht erforderlich! Keine Schmerzen bei der Anwendung! Anwendung ohne Einschränkung Ihrer Aktivitäten möglich! Die Heilung ist meist in nur 10 bis 14 Tagen abgeschlossen! Ein gleichmäßiger Übergang zwischen innerer und äußerer Vorhaut.“

Ich dachte ganz sicher, dies sei der Retter aus den Nöten des mir sympathischen, aber sexuell schwer zugänglichen, emotional gehemmten Phimose-Mannes. Es las sich ganz einfach: „Ziehen Sie die Vorhaut vollständig zurück und legen Sie das Maßband (oder einen Faden) fest, aber nicht einschnürend um den Penis direkt hinter dem Eichelkranz. Lesen Sie den Umfang ab und wählen einen Ringdurchmesser, der Ihren Maßen entspricht. Wichtig ist, dass der Penis nicht erigiert sein darf!“ Und schwups ist das Häutchen nach wenigen Tagen abgestorben und fällt schließlich ab.

Na ja, der Spaß sollte 89 Euro kosten (statt der 300 bis 500 Euro für eine Beschneidung per Messer), aber mein Betroffener war von sich, seinem Penis und seiner verengten Vorhaut so fasziniert, dass allein mein Gedanke, er könne hilfsbedürftig sein, ihn schockierte. Mein Denkfehler, dass er die Vorhaut ja gar nicht zurückstreifen konnte und der Circ Ring damit für ihn nutzlos war, fiel auch ihm gar nicht auf. Klar, sagte er, habe er Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, aber das sei doch normal, ich solle mich „nicht so haben“. Er „habe sich schließlich auch nicht so“. Stattdessen kam er eines Nachts mit einer Viagrapille als Überraschung für mich (!) an, schluckte sie und hockte dann eine Stunde lang mit schmerzender knallharter Riesenerektion – ohne merkliche sexuelle Gefühle – vor dem Fernsehapparat. Ich beschloss, ihn, seine schlimme Erektion und seine Phimose für alle Zeiten sich selbst zu überlassen und ihn nie wiederzusehen.

Irgendwann nach diesen unschönen Vorfällen musste ich rückblickend feststellen, in lockerem, aber regelmäßigem Arrangement seit fast zehn Jahren mit demselben Mann zu schlafen. Mit ihm, dem selbstbewussten Inhaber von über zwanzig durch „Low & Loose“ (siehe unten) verschönten Zentimetern, war endlich die Zeit gekommen, locker und hemmungslos über das Thema zu palavern. Dazu informierte ich mich im Internet und bei offenen, meist schwulen Freunden und vor allem durch das direkte Gespräch mit erfahrenen Freundinnen, um so die verschiedenen Beschneidungstechniken einzuordnen. Ist mehr äußere als innere Vorhaut entfernt, so heißt das Ergebnis „High Cut“, wird mehr innere als äußere beschnitten, nennt man es „Low Cut“. Wenn so viel Haut wie möglich entfernt wird, heißt das Ergebnis „Tight“, wenn weniger Nervenzellen in Form von Haut abgeschnitten wurden, nennt man es „Loose“. Die verschiedenen Stile führen zu verschiedenen Varianten: Wenn der Übergang zwischen innerer und äußerer Vorhaut zwei bis drei Zentimeter von der Eichel entfernt liegt, heißt es „High & Tight“-Cut, liegt der Übergang direkt hinter der Eichel (in der Furche), so ist die Bezeichnung „Low & Tight“ zutreffend. Liegt – wie bei Unbeschnittenen – ein Hautwulst über der Eichel, so heißt das Ergebnis „High & Loose“, wohingegen bei einer minimalen, fast nicht sichtbaren Verkürzung das Ergebnis als „Low & Loose“ bezeichnet wird.

Zum Anschauen ist es ohne Zipfel schön. Zum Bedienen einfacher mit. Die Hygiene: Ohne Smegma riecht’s und schleckt’s sich besser. Doch Nervenzellen beinhalten auch Gefühle. Wer schon als Kind seine schützende Vorhaut ganz verlor, muss mit den Jahren immer härtere, schnellere Bearbeitungstechniken ersinnen, da das Köpfchen immer berührungsresistenter wird. Der Natur so streng mit einem „Tight“-Cut ins Handwerk pfuschen, dass die zarte Eichel letztendlich (schon in den Vierzigern!) verledern kann, ehrlich, forcieren würd ich’s bei aller Liebe zum Cut ganz sicher nicht. Doch da jeder Mann seinen Schwanz – so er ihm schmerzfreien Sex beschert – liebt, wie er ist, halte ich es mit ihnen: Let’s go! Sympathie vorausgesetzt.

SHELLEY MASTRERS, 32, Sexkolumnistin des Berliner Stadtmagazins 030, gewann in der Talkshow „Vera am Mittag“ im Expertinnen-Frageduell gegen Dolly Buster den Titel „Göttin der Lust“. Sie lebt in Berlin