Schlechte Zeiten für Revolutionäre

taz-Serie „Was ist links?“ (Teil 3): In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik müssen linke Verantwortungsträger am weitesten von ihren ursprünglichen Überzeugungen abrücken. Arbeitsplätze zu erhalten, indem man Konzernchefs hofiert, gehört inzwischen auch zum Tagesgeschäft einstiger Trotzkisten

von RICHARD ROTHER

Mehr Unternehmen, mehr Arbeitsplätze wollen alle. Auch die Linken. In einer Stadt, in der jeder Sechste offiziell arbeitslos und damit ohne eigenes Einkommen lebt, ist das verständlich. Schwer vorstellbar, dass ein Vertreter des linken Spektrums im Abgeordnetenhaus einem Investor, der 500 neue Jobs zu schaffen verspricht, Steine in den Weg legen würde – selbst wenn er Bedenken bezüglich der Höhe der Löhne oder des Landschaftsverbrauchs der Unternehmung hätte. Zu groß ist im armen Berlin die Freude über jeden Steuerzahler mehr und jeden Bezieher von Transferzahlungen weniger.

Dabei ist die Antwort auf die Frage, was links ist, wenn es um die Wirtschaft geht, gar nicht so schwer. Millionen Linke haben sich seit Marx damit beschäftigt. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit muss in einer neuen Gesellschaftsform überwunden werden, sagen die Revolutionäre. Er muss, erwidern die Reformer, derart gemildert werden, dass auch die Arbeiter gut von ihrem Lohn leben können. So weit die Theorie. Was aber, wenn tausende (Schein-)Selbstständige ihre eigenen Unternehmer sind? Verschwimmen da nicht die Grenzen zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten?

Die Berliner Linkspartei.PDS hat als Teil des rot-roten Senats ihre Antworten auf solche Fragen in der Praxis gegeben. Links ist, was Arbeitsplätze schafft oder doch sichert, links ist aber auch, was die Folgen strengerer Arbeitsmarktgesetze ein wenig abfedert. So reist Wirtschaftssenator Harald Wolf, ein ehemaliger Trotzkist, um die Welt, um Investoren für den Standort Berlin anzuwerben, etwa im boomenden Einparteienkapitalismus Chinas. Oder er versucht, den koreanischen Samsung-Konzern davon abzuhalten, sein Bildröhrenwerk in Schöneweide zu schließen, um in Ungarn ein neues für Flachbildschirme auf die grüne Wiese zu stellen.

Erfahrungsgemäß ist die Macht der Landespolitiker begrenzt, wenn es um strategische Entscheidungen von Konzernen geht: Bei Samsung nutzte aller Protest nichts, und beim Milliardenpoker um den Pharmakonzern Schering konnte der rot-rote Senat nur zuschauen, wie der Preis der Übernahme, den am Ende die Belegschaft zahlt, spekulativ in die Höhe getrieben wurde. Nur ein Fluchtversuch konnte vereitelt werden: den der Deutschen Bahn AG nach Hamburg. Warum? Weil die Bundesregierung – allen voran Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), beide aus dem Osten – Bahnchef Hartmut Mehdorn zurückpfiffen. Schließlich ist der Bund Eigentümer der Bahn.

Dennoch kann die Landespolitik Weichen stellen – oder zumindest doch Signale setzen. So warfen die Gewerkschaften dem rot-roten Senat, in erster Linie aber dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) vor, sich nicht genug um die industrielle Basis der Stadt zu kümmern und stattdessen auf Dienstleistung, Tourismus und Glamour zu setzen. Natürlich kann man das eine tun, ohne das andere zu lassen – aber in der Außenwahrnehmung ist es schon wichtig, wo die Schwerpunkte gesetzt werden. Den industriepolitischen Dialog mit Gewerkschaften und Unternehmern, den Wirtschaftssenator Wolf angeregt hat, kann man wohl als Signal an das verarbeitende Gewerbe verstehen. Immerhin zieht jeder industrielle Arbeitsplatz drei bis vier im Dienstleistungsbereich nach sich.

SPD-Landeschef Michael Müller warnt dennoch vor einer industriellen Illusion. Zwar brauche eine gesunde Wirtschaftsstruktur auch Industrie, die Suche nach dem großen Industriedampfer sei aber Unsinn. Um einen solchen Ansiedlungserfolg zu erzielen, müsste Berlin gesunde Unternehmen mit Millionen fördern. „Das macht diese Stadt kaputt.“

Den größten Einfluss auf unternehmenspolitische Entscheidungen hat die Politik dort, wo der Staat Eigentümer ist, wie das Bahn-Beispiel zeigt. In diesem Bereich hat der Senat mit dem Verkauf von Gas-, Strom- und Wasserbetrieben Fakten geschaffen, die ein Pleiteland wie Berlin kaum revidieren kann. Obwohl die Kritik am Verkauf der Wasserbetriebe, der der Bevölkerung und der örtlichen Wirtschaft höhere Wassergebühren einbrachte, weit verbreitet ist. Die WASG will die Wasserbetriebe sogar wieder zurückkaufen.

Mit der BSR, der BVG und dem Klinikkonzern Vivantes gehören dem Land noch weitere wichtige Unternehmen. Die linke Realpolitik steckt dabei in einem Dilemma: Will sie immer lautere Rufe nach Privatisierung solcher Unternehmen verhindern, muss sie dafür sorgen, dass diese wettbewerbsfähig wirtschaften. Sind die Unternehmen erst einmal verkauft, bleiben den Politikern nur noch wenig Steuerungsmöglichkeiten. Im globalen Dumpingwettbewerb aber dürfte das Berliner Lohnniveau noch zu hoch liegen – folgerichtig wurden etwa bei der BVG die Löhne unter Rot-Rot deutlich gesenkt. Die Linkspartei.PDS unterstützte, wie beim öffentlichen Dienst, diese Einschnitte – obwohl Lohnkürzungen in öffentlichen Unternehmen und Tarifflucht zu den Dingen gehören, die für die Bundespartei ein rotes Tuch sind. Und Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) gingen die Kürzungen noch nicht weit genug.

In der Arbeitsmarktpolitik ging es in den vergangenen Jahren vor allem um die Umsetzung der umstrittenen Hartz-IV-Reform. Die Grünen, die das Gesetz im Bund forciert hatten, werfen den PDS-Senatoren auf Landesebene mangelhafte Umsetzung vor. Zudem seien die Landesmittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik gekürzt worden. In der Tat verweist Wirtschaftssenator Wolf auf die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit, wenn es um die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Empfänger geht. Das Land legte allerdings ein Programm auf, das 1-Euro-Jobber qualifizieren soll. Jüngste Idee, kurz vor der Wahl: ein kleines Pilotprojekt, in dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden und 1.300 Euro brutto erhalten. Reine Ablenkung vom „arbeitsmarktpolitischen Versagen“, monieren die Grünen. Und die FDP, die offenbar einen öffentlichen Beschäftigungssektor befürchtet, spricht von „Taschenspielertricks“. Ob das die rund hundert Programmteilnehmer in den vier betroffenen sozialen Vereinen auch so sehen?