Greller Spot auf Mutter Meinhof

Die Meinhof-Tochter Bettina Röhl sieht ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und verlangt Änderungen am Jelinek-Stück „Ulrike Maria Stuart“, das die RAF gründlich demontiert. Die Uraufführung ist für Ende Oktober am Hamburger Thalia Theater geplant. Regie führt Nicolas Stemann, den das Frauenthema „nur ganz am Rande interessiert“

Ist es erlaubt, einen Mythos zu zerstören – insbesondere dann, wenn die in Rede stehenden Ereignisse über 30 Jahre zurückliegen und die restliche Welt nur marginal bewegt haben? Ist es statthaft, Ikonen auch des linken Spektrums – zusätzlich zum gemeinerweise gescheiterten Realsozialismus – zu zerstören? Oder haben Ex-RAF-Anhänger das Privileg, an den Stars von einst festhalten zu dürfen?

Man möchte sagen: Nein, das haben sie nicht, und wenn der Bildersturm in literarischer Form geschieht, ist das harmlos im Vergleich zu den heimlichen Forschungen am Hirn der Ulrike Meinhof, die Tochter Bettina Röhl völlig zu Recht ins Licht der Öffentlichkeit zerrte.

Elfriede Jelinek, des Konservatismus unverdächtig, hat es also gewagt: Im Stück „Ulrike Maria Stuart“ konfrontiert sie Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als konkurrierende Königinnen. Im Mai hat es am Hamburger Thalia Theater eine Probe jenes Stücks gegeben, das der Tochter nun ganz und gar nicht gefällt. Sie verlangt Änderungen. Ende Oktober hat Theater, das sich öffentlich nicht zu dem Streit äußert, die Premiere angesetzt.

Als Spätpubertierende hat Regisseur Nicolas Stemann Meinhof und Ensslin in seiner Inszenierung präsentiert. Als zwei Frauen, „die sich letztlich doch nur um den Mann mit den blauen Augen streiten“, so Stemann mit Bedauern. Doch das Frauenthema reizt ihn nicht besonders. Das Scheitern Meinhofs – nicht nur an der Konkurrentin Ensslin, sondern auch an der Gruppe ist Thema des Regisseurs, der „nur einen Bruchteil des Jelinek’schen Stoffs“ verarbeitet hat. Deren Abrechnung wirkt nicht einmal sehr scharf: Fast scheint die Autorin Mitleid mit den verzweifelten Kämpferinnen zu haben. Beinahe gütig schaut sie auf Meinhof, die immer Quichote-artiger gegen Windmühlen läuft.

Doch Bettina Röhl sieht diese Nuancen nicht. Den Ruf nach einer neuen RAF hört sie in Stemanns Inszenierung. Den Humus für neue Terror-Ideen sieht sie darin keimen. Und überdies ihre Persönlichkeitsrechte verletzt – ein Anwurf, der die Inszenierung in keiner Weise trifft. Auch der Vorwurf, Jelinek liefere „historisch und faktisch einen Schmarr’n“, geht ins Leere, ist Jelinek mit derlei Anspruch doch nie angetreten. Auch nicht mit der Idee, Figuren psychologisch nachzuzeichnen – obwohl sie es hier streckenweise sogar tut.

Dass Ulrike Meinhof für ihre RAF-Tätigkeit ihre beiden Töchter verließ, die daraufhin von der RAF in ein sizilianisches Barackenlager verschleppt und später von Stefan Aust befreit wurden, ist bekannt. Dieses Detail ist nur Nebenthema des Stücks, das fast melancholisch eine Puppenstube namens Stammheim baut und die Figuren klein und emotional darin herumrennen lässt.

Was motiviert Bettina Röhl, die sich Freitag zum Gespräch mit dem Thalia-Intendanten Ulrich Khuon traf, aber dann, Änderungen an Inszenierung und Text zu verlangen? Vielleicht die Lust auf Aufmerksamkeit, erzeugbar durch die virtuose Nutzung propagandistischen Bestecks. Ein geschicktes Prozedere in Zeiten, in denen wieder einmal – siehe Eva Herman – über Mutterrollen diskutiert wird. Auch der Ruf nach Wahrung der Privatsphäre ist – siehe den Prozess gegen Maxim Biller – modern und medienkompatibel.

Das Fatale im Fall Meinhof: Nicht nur die Jelinek’sche Demontage der Terroristin wird durch Röhls Lamento öffentlicher und interessanter denn je. Auch die Tatsache, dass Meinhof ihre Kinder ganz real gegen die RAF vertauschte, rückt neu in den Fokus. Das wiederum könnte – ob so gewollt oder nicht – auch für Bettina Röhl eine neue Phase der Verarbeitung ihrer Familiengeschichte einleiten. PS