Tony im Wirtschaftswunderland

Blair machte im besten keynesianischen Sinne mit Schulden die Wirtschaft flott. Jetzt droht die Blase zu platzen

BERLIN taz ■ Großbritanniens Premier Tony Blair möchte als großer Reformer in die Geschichte eingehen. Ganz wie Margaret Thatcher vor ihm. Thatcherismus – Privatisierung und Sozialabbau kombiniert mit dem Plattwalzen der Gewerkschaften – ist noch heute ein Begriff. Von einem Blairismus indes spricht niemand. Blairs Verdienst: das anhaltende Wirtschaftswachstum. Die Rate liegt derzeit bei 2,6 Prozent nach 3,8 Prozent vor einem Jahr. In den Jahren zuvor fiel es kaum je unter zwei Prozent. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,5 Prozent, halb so hoch wie unter Thatcher – was aber wohl auch auf statistische Tricks zurückzuführen ist.

„Es ist in der Tat überraschend, wie stabil die britische Wirtschaft ist“, lobte vergangene Woche Jean-Philippe Cotis, Chefvolkswirt der Industrieländer-Organisation OECD. Es gehe ihr ausgezeichnet und sie erweise sich als überaus krisenresistent.

Der Grundstein dafür wurde vor fünf Jahren gelegt. Die Internet-Spekulationsblase war gerade geplatzt und der Terror nach New York gekommen, da senkte die britische Zentralbank kräftig die Zinsen. Der Staat gab zugleich das Geld mit vollen Händen aus, um die Konjunktur anzukurbeln. Es war wie aus einem Lehrbuch für keynesianische Wirtschaftspolitik. Und es funktionierte. Unter Blair hat der Staat massiv ins marode Gesundheitswesen, in Kindergärten und Schulen investiert. Die Staatsquote, also der Anteil der öffentlichen Hand am Bruttoinlandsprodukt, ist mit rund 46 Prozent wieder so hoch wie in Deutschland.

Die Kehrseite des Wirtschaftswunders: Es ist zu einem Gutteil auf Schulden aufgebaut. Die Handelsbilanz ist regelmäßig negativ, seit Jahren liegt das Haushaltsdefizit deutlich über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wäre Großbritannien ein Mitglied des Euro-Clubs, bekämen Blair und sein wahrscheinlicher Nachfolger, Finanzminister Gordon Brown, kräftig Ärger mit der EU-Kommission.

Dem Boom könnte schon bald ein richtiger Kater folgen. Denn weit kritischer als die staatliche ist die private Verschuldung. Die niedrigen Zinsen lösten einen Run auf Immobilien aus. Wer ein Haus besaß, konnte nun immer höhere Hypotheken auf dessen gestiegenen Wert aufnehmen. Und hatte so noch mehr Geld für den Konsum zur Verfügung. Doch irgendwann wird der Immobilienboom zur Immobilienblase. Spätestens dann, wenn das Geld nicht mehr billig ist.

Die Notenbank erhöhte jetzt den Leitzins auf 4,75 Prozent. Weitere Zinssteigerungen werden für den Herbst erwartet. Bald wird sich so mancher die aufgenommene Hypothek nicht mehr leisten können. Der Konsum auf Pump bricht in sich zusammen. Erste Vorboten sind die privaten Insolvenzen, die auf ein Rekordhoch zusteuern, und der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Monaten. Möglicherweise hat Brown, wenn er endlich auf Blairs Stuhl sitzt, gar nicht mehr allzu viel Grund zur Freude am Job als Premierminister. Nicola Liebert