Die Digital-Liberalen

In Berlin gründete sich gestern die Piratenpartei Deutschland. Ihre Anliegen: Filesharing und die Legalisierung von Tauschbörsen. Vorbilder haben sie in den USA und vielen europäischen Ländern

AUS BERLIN MICHAEL BRAKE

Der Sitzungssaal ist ein Party- und Veranstaltungsraum der Berliner Internet- und Digitalkunstszene, der noch nach dem Rauch des Vorabends riecht. Auf Sofas und zusammengewürfelten Stühlen sitzen rund 50 Leute und bieten ein ziemlich homogenes Bild: Die überwältigende Mehrheit sind Männer, fast alle zwischen 20 und 40 Jahren, und sie sehen aus wie Bald-, Noch- und Ehemals-Studierende, für die es an einem Sonntag um zehn Uhr morgens eigentlich noch zu früh ist.

Doch viele von ihnen sind extra aus ganz Deutschland angereist. Es gilt, Großes zu tun: Die Gründung einer Partei, der Piratenpartei Deutschland, wie sie nach dem ersten Beschluss des Tages heißt. Klingt nicht wirklich ernst gemeint, von Spaßparteien wie der APPD grenzen sich die Piraten (so das offizielle Parteikürzel) aber ab. Der provokant gewählte Name nimmt vielmehr den von der Plattenindustrie geäußerten Vorwurf der Musikpiraterie auf. Denn die Piraten treten unter anderem für eine Legalisierung von Internet-Tauschbörsen und Filesharing ein.

„Filesharing ist nur ein Aufhänger, weil es Millionen Menschen in Deutschland betrifft. Unsere Themen: Freier Zugang für Kultur – weil es allen Beteiligten, auch den Urhebern, einen Vorteil verschafft“, sagt Cristof Leng, der frisch gewählte Bundesvorsitzende. „Auch Künstler klagen zunehmend, dass ihre Arbeit erschwert wird, weil sie immer weniger Zugriff auf andere Kunsterzeugnisse haben, was die Entwicklung von Kunst und Kultur erschwert.“

Weitere Themen des Piraten-Parteiprogramms: Von Datenschutz und der Sicherung des Fernmeldegeheimnisses über die Reduzierung der Patentierbarkeit und den Abbau von Monopolen im Kommunikationsbereich bis hin zur Forderung nach mehr Transparenz im Staatswesen reicht das Spektrum – Politikfelder, die die Piraten bei den anderen Parteien vernachlässigt sehen.

Die Vorbereitungen des Gründungsprozesses wurden streng basisdemokratisch organisiert: Im Internet wurden Foren und Wikis eingerichtet, in denen alle Interessierten an den Einzelheiten der Satzung und des Programms mitschreiben und -diskutieren konnten.

Piratenparteien sind allerdings keine deutsche Erfindung. Es gibt bereits Organisationen in mehreren europäischen Ländern und den USA. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei Schweden ein: Bereits seit 2003 existiert hier das Piratenbüro, eine Gruppe von Netzaktivisten, am 1. Januar dieses Jahres wurde dann die Piratpartiet von Rickard Falkvinge gegründet. Einen Popularitätsschub verdankte die Partei einer Polizeiaktion Ende Mai: Damals wurden die Server der weltgrößten Internet-Tauschbörse Pirate Bay beschlagnahmt. Die Sache wurde in Schweden zum Politikum, die Mitgliederzahl der Piratpartiet stieg innerhalb weniger Tage von rund 2.000 auf knapp 7.000. Inzwischen liegt sie bei 8.850, damit ist die Piratpartiet größer als die schwedischen Grünen, rund zehn Prozent der Mitglieder sind Frauen.

Die deutsche Partei ist noch lange nicht so weit. Doch immerhin steht nach zahlreichen Gegenreden und Änderungsanträgen und langen und noch etwas unbeholfener Diskussionen nach rund vier Stunden das Gerüst: Die Piraten haben jetzt etwas mehr 50 Mitglieder, eine Satzung, ein Programm und einen Bundesvorstand. Es kann also auf irgendeine Weise losgehen, und nur noch 350 Mitglieder mehr, dann darf man zu einer Wahl antreten.

Fragt sich bloß, wie hoch die Erfolgschancen der Piratenpartei einzuschätzen sind. Ein derart enges Themenspektrum dürfte viele Leute abschrecken: Wer möchte schon einer Partei aufgrund eines einzigen Politikfeldes seine Stimme geben, in allen anderen Bereichen aber eine Partei der Enthaltung oder die Katze im Sack wählen? „Wir sind weder die Biertrinker- noch die Autofahrerpartei – unser Thema erfasst mehr und mehr alle Lebensbereiche“, sagt Christof Leng und nennt als Beispiel die Gesundheit: Man werde sich nicht in Diskussionen über Kopfpauschale oder Bürgerversicherung vertiefen. „Aber bei anderen Fragen: Datenschutz im Zusammenhang mit der elektronischen Patientenkarte, Verwaltungstransparenz der Krankenkassen oder die explodierenden Kosten durch die Regulierungen der Pharmapatente.“

Bei all dem lehnt die Piratenpartei eine Einordnung ins Links-rechts-Spektrum ab. „Mit links würden sich einige, auch aus dem Vorstand, auf die Füße getreten fühlen. Wir sind offen für alle politischen Richtungen – links, liberal, konservativ“, sagt Christof Leng. Oder einfacher: „Piraten kennen kein links und rechts – Sie kennen nur Steuerbord und Backbord.“