Die wahre Liebe der Groupies

Begeisterung, die ins Sexuelle geht. Dabei geben Groupies freimütig. Von ihrer Hingabe profitieren immer die anderen

Das Groupiewesen ist kein genuines Berliner Phänomen. Aber so wie die Künstler und Prominenten in die Metropolen drängen, am liebsten gleich in die von den Massenmedien ausgeleuchteten Hauptstädte, zieht es auch ihre Groupies dorthin – ihnen nach. Laut Wikipedia entstand das Phänomen mit der Rockmusik, das heißt zugleich mit der ersten Generation von „Teenagern“ in den industrialisierten Ländern, die über genügend Kaufkraft verfügten, um sich eine eigene Kultur (Pop genannt) zu leisten.

In einem Vortrag im Kreuzberger Antiquariat „Kalligramm“ über „Charis“ (Grazie, Anmut) und „Charisma“ (Herrschaft, Gewalt) behauptete Eckart Goebel, der darüber gerade ein ganzes Buch im Moabiter Verlag Kadmos veröffentlicht hatte, dass es den „Teenager“ schon sehr viel länger gebe als die Rockmusik: demnach auch das Groupie-Phänomen. Und in der Tat äußerte sich bereits Nietzsche abfällig über die Groupies von Goethe. Aber das war vielleicht Neid.

Noch in der Studentenbewegung wurde die Bezeichnung Groupie ähnlich abwertend verwendet – und etwa Uschi Obermaier als Groupie der Kommune 1 abgetan, als eine Art Revolutionsmaskottchen. Sie wurde dann tatsächlich ein Groupie, von Jimmy Hendrix und von Mike Jagger. Wobei sie das Groupie-Image gleichsam „revolutionierte“ – zusammen mit der ersten Frau von Otto Schily, die mit Joe Cocker durchbrannte, und Anita Pallenberg, die man später als „Muse der Stones“ bezeichnet hat. Angie, die „Muse“ der Gruppe Ton Steine Scherben, gründete später eine Frauenband.

Auch Yoko Ono, angeblich das berühmteste Groupie der Welt, machte sich als Künstlerin selbstständig, erst mit John Lennon und dann als Witwe. Grace Jones bezeichnete sich in einem ihrer Songs selbst als ein „Art-Groupie“. Neulich war ich in Wilmersdorf bei einem der großen und inzwischen vielleicht dienstältesten Groupies von Prag zu Besuch, wo sie mir den Groupiefilm „Almost Famous“ zeigte, der auf Recherchen eines Musikautors der Zeitschrift Rolling Stone basiert, aus dessen Perspektive der Film auch erzählt wird.

Die Groupies sind sozusagen der harte Kern unter den Fans der Bands oder umgekehrt: ein weicher Ring um die Hardrocker. Im Film bezeichnen die Mädels sich kollektiv als „Band-Aid“, was im „Urban Dictionary“ als „hardcore followers of a band“ definiert wird. Ihnen angeschlossen hat sich der Musikjournalist, der jedoch nur so tut als ob: In Wirklichkeit ist er der „Feind“ – für die Band.

Die Groupies oder Band-Aids grenzen sich ihrerseits von den „Bandfuckern“ ab, denen es bloß darum geht, mit Berühmtheiten anzubändeln, die also ähnlich wie der Journalist an der Kunst beziehungsweise den Künstlern nur parasitieren: Beide schleichen um die Bands herum, um anschließend Intimes oder vermeintlich Unbekanntes über sie auszuplaudern. Die Liebe der echten Groupies ist dagegen reine Verschwendung: Anti-Prostitution! Sie geben freimütig! Es sind immer die anderen, die von ihrer Hingabe profitieren.

Im Internet wimmelt es von Büchern, Filmen, Theaterstücken über Groupies. Es werden „Groupie-Perücken“ angeboten, und die Modemacher lassen sich von ihnen inspirieren. In Berlin verwischen sich gerade die Grenzen zwischen Groupiewesen und Journalismus: Nicht nur versucht die Tochter der Pragerin heute mit einem Journalistenausweis „backstage“ zu gelangen. Wenn jetzt mal ein berühmter Musiker oder Hollywood-Promi nach Berlin kommt, dann berichtet anschließend mindestens eines der Groupies in Bild halbseitig und mit Ganzkörperfoto, wie derjenige im Bett war – sie degradieren sich damit selbst zu Bandfuckern.

Am 31. Juli war es die „Friseuse Heidi (22) aus Sachsen“, die über „die Nacht ihres Lebens mit Robbie Williams“ sagte: „Beim zweiten Mal war er so müde“, und „auf dem Bett sah ich einen Laptop“, dazu Bild-Redakteur Martin Wiegers: „Ein Traum, 60 Minuten“.

In der Programmzeitschrift 030 hat umgekehrt ein und dasselbe Groupie, die Loveparade-Fanfrau Shelley aus Bosnien, eine eigene Kolumne: Hier sind es die Musiker, die von Nummer zu Nummer wechseln.

Nachdem sie sich in den Gitarristen von Sunshine Underground verliebt hatte, kam sie neulich bei einem gemütlichen Beisammensein mit vier gleichgesinnten Frauen „zwischen 25 und 40“ auf den „Groupiemodus“ zu sprechen: „ ‚Seid ihr auch manchmal Groupies?‘ Alle begeistert ‚Ja‘ … Und schon waren die Storys auf dem Tisch: Eine beschrieb, wie sie bei Eminem einen ‚totalen Ausraster‘ bekam. Als er sich bei dem Konzert in den Schritt fasste … Die anderen Ladys hatten ähnliche Geschichten oder erzählten von musikalischen Orgasmen. Als ich meine Definition von ‚Groupie‘ beschrieb, zogen sie sich aber auf ‚ich bin doch eher Fan‘ zurück. Was für mich ein echtes Groupie ausmacht, ist auf jeden Fall Begeisterung, die bis ins Sexuelle geht, da Sex und Musik bei einem Groupie eng verknüpft sein müssen. Es geht auch um Dankbarkeit dem Artisten gegenüber. Für erbrachte künstlerische Leistung, für seinen Beat, für das ‚Ohrenöffnen‘ etc. etc.“ HELMUT HÖGE