Ein Gebet für die Kunst

Auch die erste Singapur Biennale setzt mit ihrem Titel „Belief“ auf die aktuelle Frage, wie halten wir es mit der Religion. Die Mehrzahl der Künstler bleibt in ihren Arbeiten freilich die Antwort schuldig

Der Umgang mit zeitgenössischer Kunst ist in Singapur deutlich unverkrampfter als gewohnt

von THOMAS WULFFEN

Das Video läuft in einer Art Café – neben der Kirche. Auf einem großen LCD-Bildschirm ist ein Prediger am New Yorker Times Square zu sehen. Was der Betrachter dabei zu hören bekommt, hat er so noch nicht vernommen: „Wir müssen die Hoffnung unterstützen, dass die Kunst uns die Fähigkeit gibt, die es uns ermöglicht, einen Moment der Klarheit, der Sicherheit, der Wahrheit zu erreichen.“

Damit kein Zweifel aufkommt, endet die Predigt mit den Worten: „Unsere Gemeinschaft ist stark. Lasst uns zusammenstehen in der künstlerischen Erfahrung und wir werden uns nie allein oder verloren führen, in welcher Ecke der Welt auch immer.“

Dieses Gemeinschaftsgefühl kann jetzt wieder einmal auf die Probe gestellt werden. Anlass dazu gibt die erste Biennale in Singapur, im Vorfeld des IWF- und Weltbanktreffens in der nächsten Woche am gleichen Ort. Sie ist nicht die erste Biennale im asiatischen Raum und sieht sich in direkter Konkurrenz mit Schanghai und Gwangju. Diesmal aber hat man es tatsächlich geschafft, die Termine zu koordinieren, und selbst die Künstlerlisten sollen ausgetauscht worden sein.

Thema der Schanghai-Biennale ist „Glauben“, und das Video von Cristina Lucas wird ihm gerecht. Denn die Emphase des Predigers bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen tieferer Bedeutung, Satire und Blasphemie. Der künstlerische Direktor Fumio Nanjo aus Japan, weltweit erfahren in der Organisation von Biennalen, und sein Team (Roger McDonald, Eugene Tan und Sharmini Pereira) haben den Kunstparcours in die Stadt selbst gelegt, um unkomplizierte Einblicke zu eröffnen und Zugänglichkeit zu gewähren. Denn diese Biennale will aus der Hermetik des Kunstbetriebs ausbrechen, sich den Bürgern der Stadt öffnen. Wenn ihr das nicht gelingt, dann wird sie die erste und einzige Biennale in Singapur sein und bleiben. Der Rundgang beinhaltet dann auch viele sakrale Orte. Singapur ist nicht nur multiethnisch, sondern beheimatet auch die wichtigen Religionen. So werden auch die Religionshäuser mit Kunst ausgestattet. Leider selten überzeugend, meist bleibt die Kunst Dekorum.

Mit insgesamt neunzehn Ausstellungsstationen ist der Besucher überfordert. Da mag er oder sie sich dann gerne eine Ruhepause gönnen. Und falls er oder sie sich dazu unter dem Wunderbaum von Iepe wiederfindet, offenbart sich auch das Wunder: Der Baum bringt seinen eigenen Regen mit sich. 2002 hat ihn Fumio Nanjo in Berlin auf dem Hackeschen Markt entdeckt. Geht der Besucher dann zur City Hall, ehemals Ort der kommunalen und nationalen Verwaltung wie des Obersten Gerichtshofs, befindet er sich am zentralen Ausstellungsort der Biennale. Ab dem 11. September bleibt das Gebäude allerdings erst einmal für die Öffentlichkeit gesperrt, weil sich hier die Teilnehmer am IWF-Treffen registrieren lassen müssen. Aber vielleicht finden ja dann die Banker ihren Weg in die oberen Stockwerke und angesichts der Kunstwerke auch gleich ein entspannteres Verhältnis zum Geld?

Anreiz dazu kann ihnen eine Arbeit von Jeon Joonho geben, die eine Großansicht des amerikanischen Zwanzig-Dollar-Scheines zeigt mit der Fassade des Weißen Hauses darauf. Bei näherer Hinsicht wird ein Fassadenputzer erkennbar, der peu à peu alle Fenster und Türen mit seinem Lappen wegputzt. Aber irgendwo habe ich auch diese Arbeit schon zuvor gesehen. Ähnliche Déjà-vus begegnen einem öfter auf dieser Biennale. Falls man sich nicht gleich mit seinem eigenen Wiedergänger konfrontiert sieht. Gustavo Romano lässt in seinem Mikroskop die Dimensionen schrumpfen: die Person, die man dort sieht, ist man selbst ganz klein. Hier hat die Kunst ihren richtigen Ort, denn die City Hall soll bis 2010 zur Nationalgalerie werden. Vor dem Gebäude fand die Eröffnungsparty statt inklusive großer Bühne für die breite Masse und einem kleinen Zelt für die geladenen Gäste. Der Premierminister gab sich die Ehre und der Kulturminister hielt die Eröffnungsrede. Aus seinem Ressort beziehungsweise dem des National Arts Council stammt das Budget der Biennale, acht Millionen Singapur Dollar entsprechen vier Millionen Euro.

Das Jahresbudget des NAC beträgt vierzig Millionen Singapur Dollar. Im ehemaligen Ausbildungslager der Armee, dem Tenglin Camp, das als Außenstation der Biennale dient, hat fast jeder Ausstellungsraum eine eigene Klimaanlage, mal größer, mal kleiner. Da weiß man, wo die Millionen bleiben. Dennoch ist vieles hier dieser Anstrengung, mithin der Rede nicht wert.

Allenfalls Stephen Bowes Video „Painting as a Zombie“ fällt auf, in dem der Künstler dem Einfluss der Untoten auf die zeitgenössische Malerei nachgeht. Takashi Kuribayashi zeigt im Camp eine aufwendige Installation mit dem Titel „Aquarium: I feel like I am in a fishbowl“. Tatsächlich kann man seinen Kopf von unten in ein Aquarium tauchen. An einer anderen Stelle des Raumes wird die Flosse einer Robbe sichtbar. Ein weiterer Teil ist in der Hermès-Boutique auf Singapurs Kaufmeile Orchard Road zu entdecken. Im edlen Ambiente des Flagship Store hat es der Künstler geschafft, seinen Eingriff so zu verkleiden, dass er sich fast vollständig integriert, bis man hinter einem ovalen Fenster schließlich den Kopf der Robbe erblickt. Das stößt seltsam auf, denn hier sind die Massen wohl kaum angesprochen. Aber der Umgang mit zeitgenössischer Kunst ist in Singapur deutlich unverkrampfter als gewohnt. Der Stadtstaat befindet sich wie viele andere Metropolen im Übergang von einer Industriemetropole zu einem Dienstleistungszentrum, in dem die creative industries Leitbild sind.

Da ist eine Biennale das passende Instrument und ihr Werbevideo, das auf den Monitoren der Singapore Airlines läuft, könnte ebenso eine Automarke promoten. Dennoch gehen einige Werke wie Bigert & Bergströms „The last supper“, der heimliche Favorit dieser Biennale, im National Museum an die Grenzen des Möglichen und darüber hinaus. Singapur kennt die Todesstrafe und der Film ist eine gekonnte Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Stadtstaat ist weder eine Diktatur noch eine Demokratie: eine künstlerische Arbeit kann hier tatsächlich noch verboten werden, die Grenzen des Systems austesten oder im besten Sinne ausweiten. Glaubt man den Kuratoren, soll das in einigen Fällen geschehen sein. Wie sagte es der Prediger: „Kunst ist ein Akt der Tapferkeit, ein wagemutiger Versuch, eine Wette auf den Fortschritt.“

Bis 12. November 2006