Mut zum Etablierten

Schulze, Walser, Trojanow, Hettche, Hacker und Stanišić: Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2006

Nun ist sie bekannt gegeben worden, die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2006, und anders als erwartet hat die Jury mit dieser Shortlist die Auswahl ihrer langen Liste bestätigt. Die Auswahl für die vor drei Wochen veröffentlichte Longlist bestand nämlich fast zur Hälfte aus Titeln, die schon im Frühjahr veröffentlicht worden waren und im Fall von Ingo Schulzes Roman „Neue Leben“ gar im Herbst 2005. Nicht ohne Grund, höchstwahrscheinlich aus Gleichgewichtsgründen, wurde die ursprünglich auf zwanzig Titel begrenzte Liste noch um einen aufgestockt – da hieß es, Peter Stamm sei nachträglich mit seinem im Juli erschienenen Roman „An einem Tag wie diesem“ nominiert worden, um die Liste frischer zu gestalten.

Auf der Shortlist stehen nun mit Ingo Schulzes „Neue Leben“, Katharina Hackers „Die Habenichtse“ und Ilija Trojanows schon im Frühjahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Roman „Der Weltensammler“ drei ältere Titel, dazu kommt Martin Walsers im Juli veröffentlichter Roman „Angstblüte“ und die beiden Herbsttitel „Woraus wir gemacht sind“ von Thomas Hettche und „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ von Saša Stanišić.

Eine, zumindest jenseits literarischer Kriterien, merkwürdige Liste; und zwar eher weniger, weil drei der sechs Titel schon etwas älter sind: So schnell verfallen gute Romane nicht, ein längeres Leben wünscht man vielen von ihnen ja sowieso (auch wenn die Produktionsrhythmen der Verlage eine andere Sprache sprechen). Merkwürdig ist vielmehr, dass es zum Beispiel so wirkt, als solle Ingo Schulzes in der Tat großartiger Wenderoman „Neue Leben“ noch einmal die nachträglichen Weihen des Literaturbetriebes bekommen – für den erstmalig ausgelobten Buchpreis 2005 war Schulze nicht rechtzeitig fertig geworden, und die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse wollte anscheinend brandaktuell sein. Merkwürdig ist genauso die erneute Nominierung von Ilija Trojanow, da dieser schlicht und einfach schon einen Preis in Leipzig bekommen hat – und damit genau jene Sorte von erhöhter Aufmerksamkeit, die, neben dem Produzieren von Bestsellern, ausdrücklich das Ziel des Deutschen Buchpreises für seine Kandidaten ist. Auch Schulze hat diese Aufmerksamkeit seinerzeit hinreichend bekommen, ganz ohne Preisehren, und ob ein Martin Walser diese noch braucht, sei dahingestellt; ein Bestseller ist „Angstblüte“ allemal.

Man hat bei diesen drei Titeln den Eindruck, vor allem, wenn einer von ihnen tatsächlich den Buchpreis erhalten sollte, als seien die Romane noch stärker als der Buchpreis (gut für die Romane), als könne der Buchpreis allein noch keine Titel „machen“ (schlecht für den Preis, gerade da sich letztes Jahr mit der Auszeichnung für Arno Geiger alles gut angelassen hatte), ja, als brauche der Deutsche Buchpreis mit dem ganzen Herbst/Frühjahr/Herbst-Kuddelmuddel noch ein paar Jahre zur Identitätsfindung.

Bleiben schließlich Katharina Hacker, deren Roman über ein Paar, das ein vordergründig unbeschwertes, aber leeres Leben führt, im Frühjahr ein geteiltes Echo hinterließ (und im Fall einer jetzigen Auszeichnung Mut erfordern würde). Sowie Thomas Hettches mit aller Macht in eine imaginäre Mitte der Gesellschaft drängender Amerika-Roman „Woraus wir gemacht sind“ und Saša Stanišić’ Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, der voller Freude am Fabulieren und mit viel Sinn fürs Groteske wie fürs Sentimentale von einer Kindheit im bosnischen Visegrad vor und während des Jugoslawienkriegs erzählt. Gewänne von diesen beiden Romanen einer (unser Favorit: Stanišić!), könnte so manche Irritation ausgeräumt werden. Ansonsten heißt es: Gut Ding will Weile haben. GERRIT BARTELS