Wowereit, der Abkanzler

Selbst seine Demütigungen können der Beliebtheit des Regierenden Bürgermeisters nichts anhaben. Beim TV-Duell darf er hemmungslos pöbeln. Das „Wowi“-Image überstrahlt Wowereits rabiaten Stil

VON MATTHIAS LOHRE

Als die Fernsehkameras noch nicht angeschaltet sind, spielt der Mann im dunklen Anzug nicht den Regierenden Bürgermeister. Hier, vor dem TV-Duell gegen CDU-Herausforderer Friedbert Pflüger am Dienstagabend, gibt er auch nicht den allseits geliebten „Wowi“. Es ist viel schlimmer. Für ein paar Minuten offenbart Klaus Wowereit ganz einfach – Klaus Wowereit.

„Sie haben gestern die ganze Zeit dazwischengequatscht“, ruft er einer Nachrichtenagentur-Journalistin zu, die am Vortag auch beim Rededuell der Berliner Morgenpost gewesen war. „Den ganzen Abend babbelte sie hinter meinem Ohr: ‚Jetzt lassen Sie den Pflüger doch auch mal reden‘“, äfft Wowereit die gestandene Kollegin nach. „Gut, dass Sie heute auf Sicherheitsabstand sind. Husch, husch, ins Foyer.“ Dann gluckst Wowereit sein bekanntes Glucksen. Er kann es sich erlauben.

Egal, ob der 52-Jährige seinen Finanzsenator wegen einer Interviewäußerung öffentlich demütigt, Oppositionspolitiker beleidigt oder Journalisten abkanzelt: Nichts scheint dem positiven Image des Regierenden Bürgermeisters etwas anhaben zu können. Wowereit ist nach fünf Jahren im Amt der mit Abstand beliebteste Landespolitiker. Parteistrategen scheinen die Wähler daran erinnern zu müssen, dass hinter ihrem Spitzenmann noch eine Partei steht: „Wer Klaus Wowereit will, muss SPD wählen“, schreiben sie in Werbeanzeigen. Selbst kleine Plüsch-Teddys darf der Regierungschef nach sich benennen und die „Wowi-Bären“ im Internet verlosen. Nichts scheint Wowereit derzeit falsch machen zu können. Dabei bleibt eine simple Wahrheit auf der Strecke: Der Machtpolitiker Klaus Wowereit kann sehr unangenehm werden. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, handelte es sich dabei um die simple Tatsache, dass ein Regierungspolitiker auch mal durchgreifen müsse.

Doch um die Durchsetzung politischer Ziele geht es dabei oft nicht. Es geht um die Demütigung. „Wowereit sucht nicht nach einer Schwachstelle beim Gegenüber“, sagt einer aus der SPD-Spitze. „Er würgt seinem Gegenüber erst mal eine rein und schaut dann, ob da eine Schwachstelle ist.“ Augenscheinlich wird das während des TV-Duells. Wowereit preist gerade den Zuwachs an Arbeitsplätzen in Berlin, da sagt die Moderatorin und Chefredakteurin des RBB-Fernsehens, Petra Lidschreiber, zaghaft: „Aber das reicht nicht.“ Die Arbeitslosigkeit sei noch immer hoch. Eine schlichte Tatsache, aber für Wowereit Grund genug, jetzt auch sie frontal anzugreifen: „Ja, ‚reichen‘, Frau Lidschreiber. Was heißt ‚reichen‘? Wenn der RBB sagt, die Fernsehgebühren reichen?“ Lidschreiber, ohnehin vom Moderieren überfordert, schluckt. Das kann Wowereit. Der Mann schlägt schneller zu als sein Schatten. Dass sein Vorwurf meist vollkommen deplatziert ist, geht unter.

Als ihm Pflüger vorwirft, seit dem rot-roten Amtsantritt vor fünf Jahren habe die Stadt 113.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren, kontert Wowereit mit Pflügers Neuling-Status: „Das hat Ihnen jemand so aufgeschrieben.“ Trotz alldem ist Wowereits Sieger-Image derzeit unangreifbar. Letztlich auch, weil die Mehrheit der Öffentlichkeit das anscheinend so will. Beispielsweise kritisierte Spiegel Online gestern die Schröder-haften Kaskaden Wowereits im RBB, doch das Gesamturteil zum Duell fiel klar aus: Der „Hundeblick“-Besitzer Pflüger unterliege dem „Alphatier“ Wowereit. Rempeln und Abwatschen gilt dabei immer noch als Führungsqualität.

Anders als beim Exbundeskanzler wird Wowereits Hybris bereits in der Blüte seiner politischen Macht offenbar. Bekannt ist sie seit langem. Schon in den 90er-Jahren war der damalige SPD-Fraktionschef für seine ruppigen Manieren bekannt. Grüne, FDP und Linkspartei berichten unisono, wie Wowereit sie im Jahr 2001 in Koalitionsverhandlungen „mürbe gemacht“ habe, um ihnen ihre Machtlosigkeit vorzuführen. Wer nach der jetzigen Wahl mit der SPD regieren will, wird es nicht leicht haben. „Es ist gut, Optionen zu haben“, sagt Wowereit dazu.

Für seinen CDU-Kontrahenten hat sich Wowereit eine besonders perfide Form der Demütigung ausgedacht. Auf dem Weg vom Studio zurück zum Foyer überrascht er Pflüger mit den Worten: „Ich schenke Ihnen was für Ihre Kinder.“ Und drückt dem verdutzten Herausforderer zwei „Wowi-Bären“ in die Hand. Natürlich ist Wowereit nicht entgangen, dass das RBB-Kamerateam das Ganze festhält. Beim Journalistentross angekommen, berichtet Wowereit der zuvor gescholtenen Journalistin von seinem kleinen Coup. Als sie ungerührt bleibt, fragt er gut gelaunt: „Immer noch sauer?“ Zur Antwort kommt ein kühles „Allerdings“. Wowereit geht weiter. Und gluckst.