Ein Labyrinth mit tausend Zimmern

Arbeitsplatz Kunst: Das Filmfestival Doku.Arts streunt durch Orte der Produktion und des Konsums von Kunst

Die Eremitage in Sankt Petersburg hat über 1.000 Räume. Ungefähr 350 sind für das Publikum geöffnet. Menschen aus aller Welt kommen nach Russland, um sich die Kunstschätze anzusehen, die zu einem großen Teil noch aus der Sammeltätigkeit der Zarin Katharina herrühren.

Es sind aber nicht die Besucher, für die sich die niederländische Filmemacherin Aliona van der Horst interessiert hat, sondern die Menschen, die in diesem riesigen Museum arbeiten. Ihr Dokumentarfilm „The Hermitage Dwellers“ läuft heute zur Eröffnung von Doku.Arts, einem Festival für Filme zur Kunst in der Akademie der Künste. Es ist ein beinahe klassisches Institutionenporträt geworden.

Wer in der Eremitage einen Arbeitsplatz bekommt, scheint mit dem Haus eine Ehe einzugehen. Einige der Frauen, die Aliona van der Horst interviewt, sind seit sechzig Jahren hier tätig. Sie erinnern sich noch, wie während des Zweiten Weltkriegs die Bilder aus den Rahmen genommen wurden und dann die Soldaten während ihres Fronturlaubs trotzdem durch die Räume geführt wurden, als wäre alles ganz normal. Eine 82-jährige Kunsthistorikerin hütet eifersüchtig die Ikonen, die sie aus den Religionsstürmen in der Sowjetunion gerettet hat.

Die vielleicht eindrucksvollste Figur ist Vadim, ein junger Mann mit Piercings. Er war als Soldat in Aserbaidschan, als das Land sich von Russland lossagte. Vadim deutet nur an, welche Gräuel er dort gesehen hat. In der Eremitage ist er zur Ruhe gekommen, die Kunst hat eine therapeutische Wirkung auf ihn, der so martialisch durch die Räume stapft.

Die Eremitage ist einer der Orte in der Welt, den nahezu jeder Mensch kennt, der sich für Kunst interessiert. Sie stellt ein Pilgerziel dar, in dem auch ein klassischer Kunstbegriff hochgehalten wird. Wie weit sich das Feld der Kunst inzwischen allerdings ausdifferenziert hat, gibt das Festival Doku.Arts zu erkennen: Mit einem enorm dichten Programm wird in nur vier Tagen ein Überblick über ein Film- und Videoschaffen gegeben, das sich mit Kunst befasst. Dazu gibt es zahlreiche Podiumsgespräche und diskursive Ergänzungen. Eine Veranstaltung dieser Art kann nur extrem heterogen sein, zumal die Akademie der Künste ja selbst aus unterschiedlichen Sektionen besteht, die über das Feld, das allgemein als die bildende Kunst gilt, weit hinausreichen.

Doku.Arts widmet sich folgerichtig auch der Musik, mit einer Dokumentation über Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra. Der Dirigent wird am Sonntag dann auch bei einem Publikumsgespräch auftreten. Porträtfilme gibt es zu den Komponisten Helmut Lachenmann („ … wo ich noch nie war“ von Bettina Ehrhardt) und Dmitri Schostakowitsch („The War Symphonies“ von Larry Weinstein).

Ein sehr kurzer Film, der reges Interesse verdient, stammt von dem kanadischen Filmfantasten Guy Maddin: „The Heart of the World“ dauert nur sechs Minuten, packt in dieser kurze Dauer aber den ganzen Stummfilm und das ganze sowjetische Revolutionskino und jagt es in einer grandiosen Weltsprengung in die Luft. Guy Maddin gehört zu einem der drei Schwerpunkte im Rahmen von Doku.Arts: „Fokus Kanada“ ergänzt die eher traditonell angelegten Komplexe „Artists at Work“ und „The Public at Work with Art“. Produktion und Rezeption werden zusammengedacht, zum Beispiel in „Jours Tranquilles au Musée Précaire Albinet“, in dem Coraly Suard den Künstler Thomas Hirschhorn dabei beobachtet, wie er in einer Pariser Problemsiedlung ein „prekäres Museum“ einrichtet. Die Architektur ist durch Norman Foster und Santiago Calatrava repräsentiert, denen jeweils ein Film gewidmet ist. Das Kino vertritt Michael Haneke, über den Nina Kusturica und Eva Testor ein Porträt gedreht haben. Ein wenig erratisch taucht auch „Soy Cuba, o Mamute Siberiano“ von Vicente Ferraz auf, ein historiografisches Werk über die Dreharbeiten zu Michail Kalatosovs extravagantem Revolutionsfilm „Soy Cuba“ aus den frühen Sechzigerjahren.

Mit Doku.Arts verhält es sich ein wenig wie mit der Eremitage: Das Festival hat enorm viele Räume, nicht alle grenzen aneinander, aber irgendwie bilden sie doch ein – wenn auch sehr labyrinthisches – Gebäude. Es steht solide auf dem weiten Künstebegriff der Berliner Akademie.

BERT REBHANDL

Das Doku.Arts-Festival eröffnet heute um 18.30 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, und läuft bis 17. September dort und im Hamburger Bahnhof. Programm unter www.doku-arts.de