„Er hatte Angst vorm Alleinsein“

Gül Pinar, Anwältin von Manuel G., erhebt Vorwürfe gegen die Sozialbehörde. „Es war auf keinen Fall sein Wunsch, allein in einem Hochhaus zu wohnen.“ Heute debattiert darüber die Bürgerschaft

von Kaija Kutter

Der Fall von Manuel G., der von der Sozialbehörde allein in einem Hochaus untergebracht wurde und vor zehn Tagen in Wilhelmsburg einen jungen Mann mit einem Nothammer verletzte, beschäftigt heute die Bürgerschaft. Die Opposition wird den Rücktritt von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) fordern. Die Unzufriedenheit über deren Krisenmanagement wächst inzwischen sogar in der eigenen Partei.

Während der Junge in den Medien zum Monsterkind Nummer eins avanciert, zeichnete seine Anwältin Gül Pinar gestern ein anderes Bild. Bis zu jenem Vorfall habe Manuel G. „nicht zu der aggressiven Klientel“ gezählt, sagt Pinar. Der Junge habe selber davor gewarnt, ihn allein zu lassen. Dem zuständigen Familieninterventionsteam wirft sie vor, nicht auf die Leute gehört zu haben, „die Manuel besser einschätzen können“.

„Klar hat er was gemacht“, sagt die Juristin, die den Jugendlichen strafrechtlich vertritt. Bei der Liste der 14 Straftaten, die er laut Sozialbehörde von Januar bis Juli 2005 während seines Aufenthaltes in der Wilhelmsburger Jugend-WG des Sozialpädagogen Ottfried von der L. begangen haben soll, handle es sich überwiegend um Diebstähle und Abziehdelikte. So hatte er einen Jungen mit einem Schlüsselbund bedroht, damit dieser ihm seinen MP3-Player gibt.

Das Familieninterventionsteam, so Pinar, habe seinerzeit den Fehler gemacht, die fünf schwierigsten Jungs aus dem Stadtteil bei Ottfried von L. unterzubringen. Dies sei so passiert, weil der Sozialarbeiter sehr gut mit diesen Jungs zurechtkomme, ergänzt Anwaltskollege Manfred Getzmann. Auch hätten andere Träger „zu viel Angst vor Misserfolg“.

Manuel musste im Sommer 2005 beim Harburger Jugendgericht wegen seiner Taten Rechenschaft ablegen. Das Familieninterventionsteam habe damals beantragt, Manuel G. in das Geschlossene Heim Feuerbergstraße einzuweisen, erinnert Pinar. Dabei habe ein Gutachten des Jugendpsychiatrischen Dienstes auf Manuels frühe Gewalterfahrungen in der Kindheit hingewiesen und dringend vor dem Einsperren gewarnt.

Manuel musste in eine andere Jugendwohnung, von wo aus er einen Cabrioraub begann. So kam er schließlich doch in die Feuerbergstraße, mit Zustimmung seiner Mutter. Als Manuel im März aus der Feuerbergstraße floh, erschien er bei Pinar vor der Tür und fragt um Rat. Er wollte in die Wilhelmsburger Jugendwohnung zurück. In der Feuerbergstraße sei er „immer der Buhmann“ und von den anderen Jungs isoliert. Doch weil es draußen für ihn keine Perspektive gab, ging er im April ins Geschlossene Heim zurück.

In der Zeit, erinner Pinar, seien Strafanzeigen der Betreuer gegen Manuel aus der Feuerbergstraße angekommen, die sie wegen ihre Lapidarität empörten. Pinar: „Er ist von allen Taten freigesprochen worden.“

Dass ihr Klient nach vier Wochen Feuerbergstraße in eine Brandenburger Einrichtung verlegt wurde, erfuhr Pinar wiederum nur per Zufall vom Harburger Jugendgericht, wo Manual am 28. Juni 2006 einen Termin hatte. „Die Jugendgerichtshilfe hat gesagt, dass schlimmste, was mit Manuel passierte, sei das Wandern von Einrichtung zu Einrichtung.“ Er brauche dringend eine familienähnliche Unterbringung in einer kleinen Gruppe. Pinar: „Manuel selbst sagte, er hätte Angst vor sich und Angst vorm Alleinsein.“ Auf keinen Fall hätte er freiwillig in ein Jenfelder Hochhaus ziehen wollen. Dort war er von der Sozialbehörde untergebracht worden. Auch der Sozialpädagoge Ottfried von der L., in dessen Jugendwohnung Manuel ziehen wollte, sagt, dass Manuel nicht freiwillig ins Hochhaus ging. „Er hat sich bei mir darüber heftig beklagt.“

Senatorin Schnieber-Jastram hatte vorige Woche erklärt, es sei der Wunsch des Jungen gewesen, ins Hochhaus zu ziehen: „Er war 17 und konnte sein Aufenthaltsrecht selbst bestimmen.“