Antikleinbürgerstraße 25

Vor einem Vierteljahrhundert avancierte ausgerechnet ein hanseatischer Stadtteil zum bundesweiten Symbol der extremen Linken. Was war die Hafenstraße, was ist von ihr geblieben?

VON JAN FEDDERSEN

Lässt sich ja leicht sagen, heute, 25 Jahre später: Dass dieser Kampf nicht zu verlieren war. Die Gegner waren so was von satt blind für das, was in der Stadt an Lebensgefühl in den Brisen hing. Mit sozialdemokratischer Betonpolitik hatten sie nichts gemein. Die Siebziger waren kaum zu Ende in Hamburg, da waren die Achtundsechziger längst auf ihren Märschen in die Institutionen, hatte Punk noch Strahlkraft und die Sozialdemokratie hockte, alternativlos, noch immer auf dem Staatsapparat wie ein Sack Blei auf frischen Keimen.

Diese Hochnäsigkeit erst hat die Grünalternativen groß gemacht, sie haben geahnt und gefühlt und ermessen, was die Leute, Eingeborene wie Besucher, gerne mögen, wohin es sie treibt und was sie ersehnen: in eine Stadt, die nicht erstickt, die miteinander spricht – und St. Pauli war das Paradestück dieser Fantasie, denn dort, keine Frage, wurde gefeiert, geschunkelt, getrunken und alles ausprobiert, was sonst wo allenfalls heimlich erträumt wird: lüsternes wie lustiges Leben rund um die Uhr. Von allen, Spießern, Freigeistern, Bedürftigen und Notdürftigen, Spendablen und Geizhälsen.

Irdisches Paradies

Die Hafenstraße, der ganze Krawall um einige Häuser, die dem klein- wie großbürgerlichen Sinn für schmucke Fassaden widersprachen, war nur ein Ausdruck dieser Unlust, sich die Stadt kaputtkloppen zu lassen. Dieses schmuddelige, ärmliche Viertel zwischen glänzendem Innenstadtkern und tatsächlich kloakiger Elbe. Die meisten Jahre war diese Prachtimmobilie ja allen Herrschenden egal, aber Anfang der Achtziger sollte die Metropole sich der Elbe, dem Hafen zuwenden. Noch so ein romantischer Ort, dieser Hafen. Schiffe aus aller Welt symbolisierten irgendwie Weltläufigkeit.

Aber als Erwerbsquelle für Arbeiter war der Hafen am Absterben, zusammen mit St. Pauli ereilte ihn Mitte der Achtziger seine schwerste Identitätskrise. Was nützte es zu wissen, dass Figuren wie die der Beatles, Freddy Quinn, Hubert Fichte oder Domenica, Bohemiens wie Stefan Aust (Konkret, jetzt Spiegel), Hermann Ludwig Gremliza (erst Spiegel, jetzt Konkret) oder Peggy Parnass St. Pauli zur Sehnsuchtsfläche aller Bürger, den Jungen und Alten, Gierigen wie Flanierenden wurde? Aids hatte außerdem das Sexgeschäft verdorben, Hamburg sollte nach ihrem Gusto eine Art Betonburg ohne Schmuddelecken werden.

St. Pauli? Die Amüsiermeile, wo so viel gefickt und gesoffen wurde wie sonst nirgendwo, dieses Viertel, stadtsoziologisch gesprochen das krassest zusammenhängende Rotlichtviertel der Welt, war einen Dreck Wert in den Senaten der Stadt. Sollte weggefegt werden, die armen Leute an den Stadtrand und auf den Trümmern Bürogebäude.

Der Kampf um die Häuser an der Hafenstraße war ein Spektakel, der diesem Viertel überhaupt erst imagemäßig aufgeholfen hat. Plötzlich war Radikales schick, breitete sich in den Kellern der Häuser Musik aus, Probebühnen, Off- und Offszeniges. Besuch aus der Heimat, und seien es die Eltern, konnte dort ausgeführt werden – und galt nicht als Einstieg in die Hölle. Corny Littmann wie Ernie Reinhardt fingen dort an, berühmt zu werden – ihre Theater eröffneten sie Ende der Achtziger, erst das Schmidt’s, dann das Tivoli. Eine Zeit, als die Hafenstraßenprojekte endlich Verträge in Händen, die SPD endgültig ihren Betonstadtbauwahnsinn beerdigt hatte und Kinder aus großbürgerlichen Quartieren wie Blankenese oder Othmarschen zeitweise der Coolness wegen auf St. Pauli sesshaft wurden. Die Hafenstraße-Apokalypse, dieser sozialdemokratische Stoff aus kleinbürgerlichen Albträumen, wirkte sich modernisierend auf den klammsten Teil der Stadt aus.

Der Elbsaum samt Yachthafen ist repräsentabel wie keine andere Adresse in Hamburg – und die einst autonomen Häuser, viel weniger akkurat, nehmen sich wie Beweise für diese antibetonhafte Stadtplanung aus: Wo sonst nur Hafenarbeiter noch Bier tranken, nach der Schicht auf der Werft, residieren heute Geschäfte, die den Lifestyle der Feinen bedienen, das Kaufhaus Stilwerk zum Beispiel, die Greenpeace-Zentrale mittendrin: St. Pauli ist auch dank der Hafenstraße zu einem Platz geworden, dessen sich niemand mehr schämen muss.

Ein kleiner Sieg

Mit dem Hass der Kleinbürger im SPD-Senat, also ihren meisten Mitgliedern, ist eine ganze Parteikultur verpufft. Heute regiert Ole von Beust von der CDU, dem Vernehmen nach findet er St. Pauli in seiner multikulturellen Eindeutigkeit super. Auch dies ein kleiner Sieg all jener Autonomen, die in der Hafenstraße die Revolution einläuten wollten. Glückwunsch!