Flierl kreuzt sich mit Rosa

Mit der Einweihung des Rosa-Luxemburg-Denkmals an der Volksbühne erfüllen PDS und ihr Kultursenator ein wichtiges Wahlversprechen – kurz vor Ende der Legislatur. In deren Verlauf verewigte sich auch Flierl: mit Sätzen, über die man stolpert

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Wie übergroße Stäbchen eines hingeworfenen Mikadospiels liegen die 60 Betonbalken des neuen Rosa-Luxemburg-Denkmals rund um die Berliner Volksbühne verstreut. Die „Denkzeichen“ zur Erinnerung an die 1919 ermordete Revolutionärin, die der in New York lebende Bildhauer Hans Haacke geschaffen hat, sind eingelassen in das Pflaster des Theaterplatzes, in die Gehwege, Bordsteine und Fahrbahnen. Das Gewirr der dunklen Balken, die mit Zitaten Rosa Luxemburgs in Bronze beschriftet sind, reicht hinüber bis zur Linienstraße und steigert somit den Eindruck eines verwirrenden Schnittmusters im Stadtgrundriss.

Nicht ein Abbild und der Mythos der Luxemburg, sondern das Zufällige, Fragmente aus Schriften, Briefen sowie Reden, die Widersprüche und Einsichten der Kämpferin für einen freiheitlichen Sozialismus begegnen jetzt den Passanten. Sie haben die Freiheit, darüber hinwegzugehen, zu „stolpern“, zu verweilen, alles oder wenig zu lesen. Es ist Haackes Dekonstruktion einer linken Legende und deren Neukonstitution als zerbrechliches, poetisches, gescheites, unheroisches, ja irrendes Wesen für unsere Erinnerung.

Die Einweihung des Rosa-Luxemburg-Denkmals gestern am gleichnamigen Platz bildete auch für dessen Initiator den geglückten Abschluss eines politisch und künstlerisch schwierigen Parcours. Flierl und seine PDS hatten es zwar erreicht, das Denkmalprojekt 2002 im Koalitionsvertrag mit der SPD festzuschreiben: Das „Denkzeichen Rosa Luxemburg“ sollte nach einen künstlerischen Wettbewerb vor der Volksbühne realisiert werden.

Doch statt zügiger Umsetzung des Plans ab 2003 trafen Flierl und die Befürworter des Denkmals lange auf harte Einwände – sowohl in den Reihen des Koalitionspartners als auch auf Seiten der Opposition und konservativer Bürger. „Bisweilen schien es, als hätten die Initiatoren dieses Vorhaben bewusst ins Zentrum eines Minenfelds platziert“, erinnerte sich nun Stefanie Endlich, Denkmalexpertin in Berlin.

Zum einen stellte man Luxemburgs „Denkmalwürdigkeit“ in Frage. So wurde der Sozialistin von der CDU mangelndes Demokratieverständnis vorgehalten. Zum anderen warfen Kritiker der PDS vor, das Projekt und die Gallionsfigur Luxemburg für sich zu instrumentalisieren. Zum Feindbild avancierte auch Hans Haacke. Er gewann den 2004 ausgelobten Wettbewerb mit 23 Teilnehmern, der mehrere Neuauflagen und Phasen durchlaufen musste. Haacke hatte die Öffentlichkeit Ende der 90er-Jahre mit seinem Kunst-am-Bau-Beitrag für den Reichstag erschüttert. Seine Sandkiste mit der verstörenden Widmung „Der Bevölkerung“ führte zu harschen Reaktionen. Schließlich musste Flierl sich durchsetzen gegen Argumente, die zu Recht besagten, dass in Berlin bereits Denkmäler an Luxemburg erinnern. 1951 hatte die DDR-Führung die monumentale „Gedenkstätte der Sozialisten“ in Friedrichsfelde errichten lassen. Wilhelm Pieck, erster DDR-Staatspräsident, weihte die „Helden-Gedenkstätte“ für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ein. Am Landwehrkanal in Tiergarten erinnert ein kleines Mahnmal an die nach dem Spartacus-Aufstand im Jahr 1919 von rechten Freikorps-Soldaten umgebrachte KPD-Gründerin und Pazifistin.

Flierls Hartnäckigkeit, die „überzeugende künstlerische Idee Haackes“ und mit Sicherheit ein Stück Eigeninteresse haben das 260.000 Euro teure Denkzeichen jetzt kurz vor Ablauf der Legislaturperiode zu den harten Betonbalken werden lassen. „Die Boden-Installation soll den Platz nicht beherrschen wie ein Monument, sondern in ihn eingeschrieben werden, wie unterschwellige Barrieren“, betonte der Kultursenator. Die ausgewählten Textfragmente setzten den ideologischen Streit um Luxemburg, den „Sozialdemokraten, demokratische Sozialisten, orthodoxe Kommunisten, antiautoritäre 68er im Westen, DDR-Funktionäre wie DDR-Bürgerrechtler mit den jeweils passenden Zitaten führten“, bewusst nicht fort. Vielmehr zeigten sie eine andere, facettenreiche Seite der Rosa Luxemburg: die private, dichterische, politische, verstörte, kämpferische, verletzliche. Zu lesen sind da: „Unser Marxismus fürchtet jeden Gedankenflug wie ein alter Gichtgaul“ (1913), „Ach Dziodziu, werde ich niemals ein Kind haben?“ (1899) und „Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist (…), ist eine Anklage“ (1918).

Dass Haacke bewusst auf Texte, auf Sprache und deren Verirrungen und Ausflüge gesetzt hatte, mag dem ebenfalls wortgewandten wie manchmal mit schwieriger Syntax hantierenden Kultursenator Flierl gefallen haben. Und natürlich, dass er sein Rosa-Ding wenige Tage vor der Wahl hat durchziehen können.

Der Kunsthistoriker Hans Ernst Mittig, der gestern die Eröffnungsrede hielt, wies auf die Bedeutung des Denkmals als Chiffre für eine andere Erinnerungssichtweise hin. Wie andere Denkzeichen und Stolpersteine in der Berliner Denkmallandschaft – siehe das Denkmal zur Bücherverbrennung – lasse das Rosa-Luxemburg-Denkmal den Betrachter nicht vor sich erstarren, nicht stillstehen oder hinaufsehen. Die Komplexität der Person Rosa Luxemburg werde durch ein Flanieren über die „Sprüche und Widersprüche“ ihrer vielen Ansichten für die Passanten spürbar.