Die Kameraden ziehen ein

Mit dem Wahlsieg der NPD beginnt eine neue Ära: Neonazis aus der Kameradschaftsszene sitzen in einem deutschen Landtag

AUS ANKLAM UND SCHWERIN ASTRID GEISLER
UND ANDREAS SPEIT

Die Freude ist NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs anzusehen. Mit glücklichem Gesicht betritt der neue Abgeordnete gegen 18.30 Uhr den Landtag. „Wir werden für das Volk da sein“, erklärt er, lässig an ein Treppengeländer im Schweriner Schloss gelehnt. Dann wird er konkreter: Er wolle „für die Deutschen“ eintreten. Den Wählern danke er, dass sie sich trotz der Presseberichte nicht beirren ließen, „national“ zu stimmen. Die NPD erhielt rund 7 Prozent und schafft so erstmals den Einzug in den Schweriner Landtag.

Der Wahlerfolg der NPD – nach der wochenlangen Materialschlacht der Rechten ist er keine Überraschung. Der NPD half die weit verbreitete Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien: Laut einer Infratest-dimap-Umfrage stimmten 80 Prozent der rechten Wähler aus „Enttäuschung“ für die NPD.

Im Schweriner Landtag dürfen sich die Demokraten in den kommenden fünf Jahren mit ganz besonderen Kollegen auseinandersetzen: Denn die NPD in Mecklenburg-Vorpommern wird – anders als zum Beispiel in Sachsen – seit einiger Zeit von Aktivisten der militanten Kameradschaftsszene dominiert. „Die NPD ist nur eine Hülle“, urteilt der Rechtsextremismus-Fachmann Michael Flenker vom Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. „Im Kern haben wir es mit Neonazis zu tun.“ Mit dem Kameradschaftsführer Tino Müller, 28, aus Ueckermünde wird erstmals ein führender Aktivist aus der konspirativ arbeitenden, demokratiefeindlichen Neonaziszene ein Abgeordnetenbüro im Landtag eröffnen. Er kann sich der Unterstützung des künftigen NPD-Abgeordneten Michael Andrejewski aus Anklam gewiss sein, denn auch der Jurist bekannte im taz-Gespräch, er sei inhaltlich auf einer Linie mit den Neonazis und begreife sich als deren parlamentarischer Stellvertreter. Der 31-jährige NPD-Parlamentsneuling Birger Lüssow aus Rostock soll im „Kameradschaftsbund Mecklenburg-Vorpommern“ aktiv sein.

Als Redner dürfte schon bald der NPD-Spitzenkandidat Pastörs von sich reden machen. Pastörs fiel bereits im Wahlkampf mit einigen unzweideutigen Äußerungen auf. So lobte er, bei Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß „haben wir es, ganz wertfrei betrachtet, mit einem Idealisten zu tun“, und kündigte an: „Wir machen den Landtag zur Anklagebank.“ An seiner Seite wird der NPD-Landeschef Stefan Köster für die Rechtsextremen im Landtag streiten. Sein eindrücklichster politischer Einsatz liegt anderthalb Jahre zurück: Im Dezember 2004 trat er bei einer Wahlkampfveranstaltung auf eine am Boden liegende Frau ein.

Dank des Wahlerfolgs darf sich neben der NPD auch die militante Kameradschaftsszene erstmals auf eine üppige staatliche Förderung freuen. Ihre Aufbauarbeit in Mecklenburg-Vorpommern wird künftig direkt aus dem Landeshaushalt gefördert: Allein für jede Wählerstimme stehen der NPD laut Parteiengesetz jährlich 85 Cent zu. Nach Vorabberechnungen der Landtagsverwaltung hätten den Rechtsextremen bereits 5 Prozent der Stimmen genügt, um 4 Sitze im Landtag zu bekommen – und damit den Fraktionsstatus. Nach den ersten Hochrechnungen erhält die NPD sogar 5 Sitze. So erhalten die Rechtsextremen zusätzliche finanzielle und rechtliche Privilegien.

Laut der bisherigen Landtagspräsidentin Sylvia Brettschneider werden die monatliche Grundentschädigung für jeden Abgeordneten in Höhe von etwa 4.400 Euro und die Mittel für zusätzliche Mitarbeiter im Wahlkreis nur einen „relativ bescheidenen Teil“ davon ausmachen: Denn die NPD-Landtagsfraktion wird zusätzlich etwa eine halbe Million Euro im Jahr für ihre Arbeit erhalten – auf fünf Jahre bezogen etwa 2,5 Millionen Euro Steuergeld.

Offen ist noch, wen die NPD als Fraktionsmitarbeiter im Landtag anheuert. Laut NPD-Kandidat Andrejewski werden in der Fraktion „auf jeden Fall“ Mitarbeiter aus der Kameradschaftsszene eingestellt. Mögliche Kandidaten: David Petereit, Rostocker Jurastudent, der als Führungsfigur der „Märkischen Aktionsfront“ gilt, sowie Michael Gielnik und Enrico Hamisch, junge Kameradschaftsgrößen aus Vorpommern.

Das Gerücht, auch der vermögende Neonazi-Anwalt und NPD-Neuling Jürgen Rieger werde als Mitarbeiter bei der Fraktion anheuern, hält Andrejewski indes für abwegig. Rieger sei ein „Cheftyp“, aber keiner, der unter anderen arbeiten wolle. „Dem Rieger kann man nicht sagen: Harry, hol mal den Wagen.“

Riegers juristisches Fachwissen indes dürfte die Fraktion in den nächsten Jahren des Öfteren benötigen, auch wenn es darum gehen wird, den Rechtsextremen möglichst viele Posten in offiziellen Gremien des Bundeslandes zu sichern. Nach der bisherigen Regelung darf jede Fraktion vier Personen für das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung vorschlagen – eine Einrichtung, die eine wichtige Rolle in der Aufklärungsarbeit über den Rechtsextremismus im Land spielt. Zudem erhalten die Volksparteien Geld für ihre politischen Stiftungen.

Die demokratischen Parteien äußerten sich gestern bestürzt über den Erfolg der Rechten. „Wir müssen uns alle fragen, ob wir genügend gegen diese unheilvolle Entwicklung getan haben und die Möglichkeiten der politischen Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten im vollen Umfang genutzt haben“, sagte CDU-Landeschef Jürgen Seidel.

Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) sprach von einem „katastrophalen Ereignis für Mecklenburg-Vorpommern“. Die wichtigste Aufgabe sei es nun, der Bevölkerung zu zeigen, dass die NPD keine Alternativen bieten könne. „Wir müssen uns mit den braunen Brüdern auf demokratische Weise auseinandersetzen“, sagte Ringstorff.

Auch in Schwerin regte sich Protest gegen das Wahlergebnis. Nach zwanzig Uhr zogen Hunderte in einem Trauermarsch „Gegen den Verlust der Demokratie“ durch die Stadt.