Merkel ohne Alternative

Die Kanzlerin hat keinen Amtsbonus, will aber weiter regieren wie bisher. Ihr hilft die Uneinigkeit ihrer Kritiker in der CDU

Merkel „Ich sehe einen Zusammenhang mit unpopulären Entscheidungen“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Vorne auf der Bühne steht jemand und verkündet schöne Neuigkeiten. Alles klingt erfreulich, zufrieden, gut gelaunt. Die Rede ist von einem „großen Erfolg“, von „Stabilität, Berechenbarkeit und Kontinuität“. Für einen Moment kommen beim Zuhören Zweifel auf, ob man sich vielleicht in der Tür geirrt hat. Doch es ist wirklich die CDU-Zentrale, in der diese Worte fallen, und es ist tatsächlich die CDU-Chefin Angela Merkel, die hier über die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin redet.

Eigentlich waren diese Wahlen für sie eine Katastrophe. Ihr eigener Landesverband im Nordosten hat weiter an Stimmen verloren und in der Hauptstadt hat Merkels Schützling Friedbert Pflüger den historischen Tiefststand vom letzten Mal noch unterboten. Doch Merkel tut so, als tue ihr das alles gar nicht weh. Als seien die schmerzlichen Ergebnisse für die CDU auf der nach oben offenen Richterskala für politische Erdbeben ganz unten einzuordnen. Man habe sich „mehr gewünscht“, gewiss. Aber immerhin, erläutert sie, sei es der CDU gelungen, den Rückstand auf die SPD in Mecklenburg-Vorpommern deutlich zu verringern. Das, sagt sie, sei „ein großer Erfolg“. Nun ja, so betrachtet ist es eben auch ein Zeichen für „Stabilität“, dass Pflüger in Berlin immerhin noch über 20 Prozent gelandet ist.

Zu Merkels Leidwesen ordnen andere die Ergebnisse ein wenig anders ein. Die Konkurrenz in Person des SPD-Vorsitzenden zum Beispiel. Einen „Kanzlerinnen-Bonus“, lästerte Kurt Beck, habe es bei den Wahlen offensichtlich nicht gegeben. Was sich schwer bestreiten lässt. Entsprechend kleinlaut reagiert Merkel, als sie darauf angesprochen wird. Eine böse Replik auf Beck fällt ihr nicht ein, doch die Niederlagen auf ihre Kappe nehmen? Das geht ihr doch zu weit. Merkel verweist stattdessen auf die Kommunalwahlen in Niedersachsen vor einer Woche, bei der die CDU 40 Prozent erreicht habe. „Dort habe ich mich auch im Wahlkampf engagiert“, erinnert Merkel und sagt – nun fast flehentlich: „Ich bitte, auf die Gesamtbreite der Wahlergebnisse hinzuweisen.“

Es reicht nicht ganz, um das Publikum zu überzeugen. Die Journalisten fragen trotzdem weiter nach den Gründen für die Stimmenverluste der CDU. Wenn es nicht an der Person Merkel lag, wie Merkel sagt, woran lag es dann? „Ich sehe einen Zusammenhang mit unpopulären Entscheidungen, die trotzdem alternativlos sind“, sagt Merkel. Die Mehrwertsteuererhöhung etwa habe gewiss Stimmen gekostet. Auch die Kürzungen bei der Pendlerpauschale und dem Sparerfreibetrag erwähnt sie als „Dinge, die zur Kenntnis genommen werden“ – und bei den Wahlen schaden.

Noch mehr schaden dürfte es der Union, wenn nun der Streit um die Gesundheitsreform weiter geht. Schon jetzt wird jede kritische Äußerung aus der Union als Autoritätsverlust für Merkel gewertet. Was sie dagegen tun will? „Es gibt ja unterschiedliche Sorten von Einwänden“, sagt Merkel, und „unterschiedliche Betroffenheiten der Länder“. Es ist ein Hinweis auf die Uneinigkeit der Kritiker. Während der Wirtschaftsflügel und tendenziell auch der künftige CDU-Vize Roland Koch härtere Reformen wünschen, wollen andere wie CSU-Chef Edmund Stoiber vor allem eines: keine Zumutungen vor ihren eigenen Landtagswahlen 2008. Und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers forderte auch gestern wieder ein sozialeres Profil. Im Chor der Merkel-Kritiker gibt es weder eine klare Tonlage noch einen Dirigenten. Merkels Konsequenz daraus: Der bisherige Kurs werde fortgesetzt. „Es gibt für mich keine Alternative“, sagt sie. Und es klingt doppeldeutig.