Jenseits der Sachfragen

Wissenschaftliche Studie: TV-Nachrichten berichteten verzerrt über den Bundestags-Wahlkampf 2005

Der Medienwissenschaftler Ralf Hohlfeld von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt über die Ergebnisse der von ihm betreuten Studie „Bundestagswahlkampf 2005 in den Hauptnachrichtensendungen“, die TV-Beiträge aus den vier Wochen vor der Wahl ausgewertet hat.

taz: Herr Hohlfeld, Ihre Studie kommt zu dem Schluss, dass die Fernsehnachrichten die Berichterstattung über den Bundestagswahlkampf stark verzerrt hätten. Was meinen Sie mit „Verzerrung“?

Ralf Hohlfeld: Die Verzerrung wirkt sich so aus, dass man an den Sachfragen der Politik vorbei berichtet. Dass die Informationsvermittlung, eigentlich die öffentliche Aufgabe der Medien, verfehlt wird, weil sie nicht am gesellschaftlich vorgegebenen Thema erfolgt, sondern dass man reihum die Politiker zu Wort kommen lässt. Wenn beispielsweise eine Partei in ihrer Programmatik zu einem bestimmten Thema nichts zu sagen hat und sich kalkuliert bedeckt hält, wird trotzdem bei dieser Partei um jeden Preis ein O-Ton eingeholt. So sind die politischen Berichte dann aus O-Ton-Sequenzen aufgebaut und am Ende aussage- und inhaltsleer. Und die Redaktion hat auch noch die Genugtuung zu sagen: „Wir sind allen gerecht geworden.“

Wie ist es zu dieser Verzerrung gekommen?

Die Verzerrung besteht im Wesentlichen darin, dass sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Sender in ihrer politischen Berichterstattung eigentlich immer nach einer gewissen Ausgewogenheit zielen. Sie orientieren sich dabei an Naheliegendem wie etwa dem Sitzverhältnis im Parlament. In letzter Zeit ist die demoskopische Berichterstattung immer wichtiger geworden, die Meinungsumfragen. Die bilden dann so etwas wie die Folie, auf der dann Statements zur Tagespolitik eingeholt werden.

Ist denn Schröders Behauptung, die Medien hätten gegen eine weitere Amtszeit von Rot-Grün gearbeitet, richtig?

„Gearbeitet“ bedeutet ja, dass man bewusst manipuliert hat. Ich glaube, davon kann keine Rede sein.

Was kann man aus der Studie lernen?

Ich möchte nicht sagen, dass die Medien nicht mehr selbst Umfragen in Auftrage geben sollen. Die Frage lautet aber: Darf man, weil man die Zahlen selbst in Auftrag gegeben hat, in den Berichten und Moderationen immer wieder dieses Pferderennen strapazieren? Da müssen sich die Verantwortlichen in Zukunft mit der damit verbundenen Macht und der Frage, was Zahlen eigentlich aussagen, auseinandersetzen. Denn diese Zahlen sind mit Irrtumswahrscheinlichkeiten und Ungenauigkeiten versehen. Es wird immer so getan, als würde die Sonntagsfrage tatsächlich die Dinge wiedergeben. Jeder sozialwissenschaftlich halbwegs gebildete Mensch weiß, dass das nicht der Fall ist.

Gab es verzerrte Berichterstattung eigentlich auch in anderen Medien?

Ich kann das nur als interessierter politischer Beobachter sagen. Grundsätzlich war diese demoskopische Berichterstattung in den Zeitungen weniger verbreitet, aber auch dort gab es einen Drall dazu, die Leistung der Regierung Schröder in Frage zustellen. Auch bei der taz.

Interview: MARIUS MEYER