PDS bekommt mächtige Zweifel

Nach der Wahlschlappe betreibt die PDS-Spitze Fehleranalyse. Die Parteibasis steht kurz vor der Revolte: Statt einer Regierungsbeteiligung sollte eher das Profil geschärft werden – als Opposition

von ULRICH SCHULTE

Das Gesicht des erfolglosen Spitzenkandidaten ist regungslos, als der Bundesparteichef neben ihm in die Mikrofone redet. Ein paar Minuten hat Harald Wolf noch, dann muss er das schier Unmögliche fertig bringen: den Genossen das PDS-Debakel erklären und der SPD, der möglichen Regierungspartnerin, Selbstbewusstsein signalisieren.

„Für uns ist eine Regierungsbeteiligung kein Selbstzweck“, sagt der Noch-Wirtschaftssenator dann. Und fügt, auf die Grünen gemünzt, hinzu: „Unsere Entscheidung wird sich daran orientieren, was wir durchsetzen können. Nicht daran, ob man uns jemand anderem vorziehen könnte.“ Die Botschaft, die alle Spitzengenossen gestern in nur leicht geänderter Wortwahl verbreiteten, ist klar: Trotz des Absturzes auf 13,4 Prozent, fast 10 weniger als bei den Wahlen 2001, will sich die PDS in einer neuen Regierung von Klaus Wowereit nicht den Schneid abkaufen lassen. Dann lieber Opposition.

Demonstratives Pochen

Das demonstrative Pochen auf PDS-Essentials – eine Einheitsschule, öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige Jobs und keinen Verkauf öffentlicher Betriebe wie BVG – ist dabei mehr als ein kollektives Sich-Mut-Zusprechen. Die Berliner PDS stellt sich mal wieder die Gretchenfrage: Darf die Linke in der Regierung eines verschuldeten Landes Zumutungen mittragen oder muss sie opponieren? Wie die Antwort ausfällt, ist offen wie nie in dem als oberpragmatisch verschrieenen Landesverband. „Ein Weiter-So gibt es nach diesem Ergebnis nicht“, heißt es in der Fraktion. Gerade an der Basis wird der Ruf nach einem schärferen Profil laut, nach PDS pur – welches sich nach Ansicht vieler Mitglieder nur in der Opposition finden lässt.

Ob Wohnungsverkäufe, Kitagebühren oder teures Sozialticket – die Liste der Zumutungen war in den vergangenen fünf Jahren selbst für die duldsamen PDS-Wähler zu lang. Viele sind schlicht zu Hause geblieben, so viele wie bei keiner anderen Partei. „Das Vertrauen der Menschen in etablierte Parteien ist geschwunden“, sagt Fraktionschef Stefan Liebich. In den Ostbezirken, den Hochburgen, sind die Einbrüche dramatisch. In Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg haben sich die Genossen an absolute Mehrheiten bei den Zweitstimmen gewohnt, jetzt liegen sie weit unter der 40-Prozent-Marke.

„Es wird sehr schwer, der Basis eine erneute Regierungsbeteiligung zu begründen“, sagt Heide-Lore Wagner, Bezirksvorsitzende in Marzahn-Hellersdorf. In ihrem Bezirk seien die PDS-Anhänger in der Regierungsfrage gespalten. Auch Lichtenberg meldet Frust: „Die Botschaft der Basis ist eindeutig: Wir dürfen nicht auf Knien in den Senat rutschen“, sagt Gesine Lötzsch, PDS-Bundestagsabgeordnete und Bezirkschefin in Lichtenberg.

Wolf, Liebich und Co. betreten in den Koalitionsverhandlungen einen schmalen Grat. Ein Zugeständnis zu viel, und es droht die Revolte. „In der Koalition lief zu viel geräuschlos ab“, sagt Lötzsch. „Das ist zwar gut für die Arbeitsorganisation, aber die Menschen konnten nicht erkennen, wofür sich die PDS einsetzt.“ Vor den Sondierungsgesprächen steckt die Partei in einem Dilemma: Der Wunsch nach Profilierung ist stark wie nie, die Position gegenüber der übermächtigen SPD schwach wie selten.

„Das wird eine sehr schwierige Diskussion“, ahnt Fraktionschef Stefan Liebich. „Das Geschäft jetzt fluchtartig hinzuwerfen wäre ebenso falsch wie vorschnell nach der Macht zu greifen.“ Es gelte: „Wir können regieren, müssen aber nicht.“ Gerade weil die Verluste so deutlich seien, müsse sich die PDS die nötige Zeit nehmen, um über Ursachen zu reden, so Liebich. Genau die fehlt der PDS: Bereits Mitte der Woche müssen sich die gebeutelten Genossen mit Klaus Wowereit auseinandersetzen.

Und auch die Bundespartei, die an einem reibungslosen Fusionsprozess mit der WASG interessiert ist, macht Druck – und wird bei den Koalitionsverhandlungen unsichtbar mit am Tisch sitzen. Lothar Bisky, der Parteichef, betonte gestern, die Landesgenossen bräuchten „keine Assistenz des Bundesvorstands“. Aber allen ist klar: Eine bis zur Unkenntlichkeit weich geklopfte Berlin-PDS an der Regierung schadet dem Bundesprojekt mehr als eine spitzzüngige Opposition. „Wenn man so etwas neu gründet, muss deutlich sein, wofür es steht“, formuliert es die Bundestagsabgeordnete Lötzsch.