Demokratische Schritte im Jemen

Bei den heutigen Präsidentschaftswahlen ist kein Wechsel zu erwarten. Zum ersten Mal wird aber offene Kritik am Amtsinhaber geübt. Doch Frauen werden benachteiligt

BERLIN taz ■ So viel Wahlkampf gab es im Jemen noch nie. Wohnhäuser und Minibusse in der Hauptstadt Sanaa sind mit Plakaten zugekleistert, seit Wochen tingeln der Präsident und sein Herausforderer durch die Provinzen und locken Hunderttausende in Stadien und auf Plätze. Die Stimmabgabe bei der heutigen Wahl sei eine islamische Pflicht, mahnte ein Prediger bei der letzten Freitagspredigt in der Großen Moschee von Sanaa. Keine Selbstverständlichkeit in dem arabischen Land, das seit fast drei Jahrzehnten autokratisch von Staatschef Ali Abdullah Saleh geführt wird.

Bei der letzten Wahl hatte der 64-Jährige noch nicht mal einen richtigen Gegenkandidaten. Die größte Oppositionspartei, die islamisch orientierte Islah, hatte den Amtsinhaber gleich selbst nominiert, 96 Prozent stimmten damals für Saleh. Sieben Jahre später unterstützen die wichtigsten Oppositionsparteien, von der Islah bis zu den Sozialisten, einen gemeinsamen Kandidaten. Der frühere Ölminister Faisal bin Schamlan ist zwar acht Jahre älter als der Amtsinhaber und gilt als wenig charismatisch. Als scharfer Kritiker der korrupten Regierung ist der 72-Jährige aus dem einst sozialistischen Südjemen aber glaubwürdig.

Dass kritische Äußerungen wie die von Schamlan jetzt auch im Fernsehen übertragen werden, ist nach Ansicht der jemenitischen Medienwissenschaftlerin Raufa Hassan schon ein Fortschritt. „Die Furcht schwindet, gegen den ersten Mann im Staat zu opponieren. Und die Erkenntnis wächst, dass ein Machtwechsel möglich ist.“

Bis auch Frauen dabei eine aktive Rolle spielen, wird es aber noch dauern. Zwar hatten sich mehrere Politikerinnen zur Kandidatur gegen Saleh bereiterklärt, sie scheiterten aber an der fehlenden Unterstützung im Parlament, das von Männern dominiert wird. Auch die Kommunal- und Regionalwahlen, die ebenfalls heute stattfinden, gehen weitgehend ohne weibliche Beteiligung über die Bühne. Von der 15-Prozent-Quote, die die Parteien den Frauen eigentlich zugesichert hatten, sind die Kandidatenlisten weit entfernt. Weniger als ein Prozent der mehr als 20.000 Bewerber um die lokalen Mandate sind Frauen. Die Islah stellte unter Berufung auf den Koran gar keine Frauen auf.

Den Frauen war das Anlass für eine weitere Premiere im Jemen: Erstmals gingen sie für ihre Rechte auf die Straße. Aktivistinnen und Mitglieder verschiedener Organisationen marschierten zum Präsidentenpalast und forderten die Einhaltung der Quote. Ohne Erfolg, aber nach Einschätzung Hassans nicht umsonst: „Das war der Beginn einer wirklichen Frauenbewegung.“

Auch in Sachen Demokratisierung sieht der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sanaa, Felix Eikenberg, einen „Anfang“. Zwar habe es schon bei der Registrierung der rund 9,2 Millionen Wähler viele Unregelmäßigkeiten gegeben. Dass aber die Opposition etwa in den Kommunen ihre Kandidaten nicht gegeneinander antreten lasse, spreche „durchaus für politische Reife“. Wenn die Wahlen weitgehend friedlich und „relativ fair und frei“ verliefen, dann sei das „ein Erfolg für die Demokratie“.

Einen Machtwechsel allerdings erwartet niemand im Jemen so schnell. In der ersten Meinungsumfrage eines privaten Instituts in Sanaa gaben 49 Prozent der Befragten an, den Amtsinhaber wieder wählen zu wollen. Schamlan würde demnach immerhin 30 Prozent der Stimmen erzielen. Sollte es für Saleh dennoch nicht reichen, sind die Jemeniten allerdings überzeugt, dass der Regierungsapparat spätestens bei der Auszählung nachhelfen wird: Mehr als jeder Zweite rechnet mit Wahlfälschung. KLAUS HEYMACH