Was war nochmal der Sinn meines Lebens?

Unpolitische Konsummonster, Kinder verweigernd nach Karriere gierend – ein Münsteraner Soziologe stellt die gängigen Klischees über Dreißigjährige in Frage. Er suchte nach Glücksgefühlen – und fand die zweite Moderne: Die ist allerdings nicht halb so trendy wie Florian Illies glaubt

Als es an der Tür klopft, macht er nicht auf. Seine e-mails ruft er heute lieber nicht mehr ab, bei jedem Telefonklingeln presst er sich Kissen auf die Ohren. Sein dreißigster Geburtstag steht für etwas. Für das, was er gemacht haben sollte, wollte, konnte... „Horror! Horror“, beschreibt der Doktorand seine Angst vor den auf ihn einstürmenden Lebensfragen – die er sich eigentlich gar nicht stellen dürfte. Denn der junge Mann gehört einer Generation an, über die das Urteil schon lange feststeht. Er ist Generation Golf – ein unpolitischer Karrierist, der es hasst, Verantwortung zu übernehmen und sich mehr für den Markennamen seiner Unterhose interessiert als für drohende Weltkriege.

Bilder, die so nicht stimmen, meint Martin Doehlemann, Soziologieprofessor an der Fachhochschule Münster in seinem jetzt erschienen Buch „Die Dreißigjährigen. Lebenslust und Lebensfragen.“

234 qualitative Interviews haben Doehlemanns Studierende mit Menschen um die dreißig geführt. Die Fragen sollten Licht auf die berühmten Klischees aus Florian Illies „Generation Golf“ und seiner noch berühmteren Vorgängerin Katja Kuhlmann mit „Generation Ally“ werfen. Vor allem wollte Doehlemann von den Mitte der 70er Geborenen wissen, was sie glücklich macht und worin sie nach dreißig Lebensjahren den Sinn ihres Lebens sehen.

Der dreißigste Geburtstag. Die Kindheit, an die sich diese Generation angeblich so verzweifelt klammert, rückt durch die drei vor der Null in die Ferne. Den meisten Befragten – zur Hälfte Menschen mit Kindern – macht das keine Angst. Sie glauben gar nicht, dass sie die Schwelle zur Kindheit schon überschreiten müssen.

Vor „Stillstand“ haben die Dreißigjährigen Angst, „man hört nie auf, erwachsen zu werden“ antworten sie deshalb oder „ich bin flexibel und spontan, das gehört doch eigentlich in die Kindheit“, „also spießig bin ich jetzt nicht, aber für meine Kinder übernehme ich natürlich schon Verantwortung.“

Erstrebenswert ist diese Verantwortung nicht, eher etwas, was die individuelle Planung ausbremsen kann. Das „kann nicht als Hinweis auf eine kollektive Altersverzögerung interpretiert werden“, betont Doehlemann. Vielmehr würde der Kindheitsbegriff umgedeutet, sei der Gegenbegriff zum Stillstand geworden.

Doehlemann findet die heutigen Dreißigjährigen, deren Lebensgefühle für ihn „die zweite Moderne“ beschreiben, selbstreflexiv und individualistisch – aber nicht oberflächlich oder selbstironisch wie die großen Markenkinder von Illies und Kuhlmann. Er sieht das vor allem an der Kinderfrage. Der „stille Gebärstreik“ ist statistischer Fakt. Die Autorin Katja Kuhlmann hat im Namen ihrer Generation Gründe dafür angeführt: „Sie haben Angst, dass alles, was sie bis jetzt in ihrem Leben getan, gelernt, erfahren haben, dass all die Anstrengung umsonst war, wenn sie einmal in der Windelfalle sitzt; manche stellen sich vor, dass die Genitalien ausleiern und für den Mann später nicht mehr eng und attraktiv genug sind, dass der Busen nach dem Stillen hängt und der Bauch nie wieder so flach wird wie bisher.“

Die soziologische Untersuchung findet andere Gründe, weniger zugespitzte. Die befragten Eltern fühlen sich manchmal weniger spontan und müder als ihre kinderlosen Altersgenossen. Sie sind aber weit davon entfernt, sich erwachsener zu fühlen und ihren Lebenssinn in ihren Kindern zu sehen. Im Gegenteil: Alle betonen, wie unglaublich wichtig es ist, in kinderfreien Kategorien zu denken und sich Freiräume zur individuellen Entfaltung zu schaffen. Trotzdem wagen die Eltern eher einen positiven Blick in die Zukunft als die Nichteltern. Die wissen meistens nicht, wo sie in zwei Jahren stehen werden.

Kinderlosigkeit ist aber kein Gegenentwurf. Und Angst vor der ruinierten Figur und dem Ende des Barbiepuppen-Daseins zwischen Werbebüro und Golf-Cabrio spielt sowieso keine Rolle. Diese Generation ist nicht oberflächlig, glaubt Doehlemann. Es fehlt pragmatisch die feste Beziehung oder das Geld. Vernünftig, seien die Dreißigjährigen, beschreibt Doehlemann. Allerdings mehr an sich selbst interessiert, als an gesellschaftlichen Fragen. Will man selbst ein Kind, der Partner nicht, trennt man sich eben – und analysiert dabei den Verlust der romantischen Liebe. Jeder Tag ist die Chance, sich weiterzuentwickeln – und fragt sich trotzdem immer wieder: Warum mache ich das eigentlich alles? MIRIAM BUNJES