Schrecken ohne Ende

Fehlerhafte, unklare Bescheide, Panik wegen zu hoher Mieten: Die Hartz-IV-Reformen sind auf ganzer Linie gescheitert, sagt die Arbeitslosenini Agab. Doch die Betroffenen reagieren „gelassen“

von Jan Zier

Eigentlich ist Martin Lühr nicht zum Feiern zumute. 30 Jahre wird sein Arbeitgeber in diesen Tagen alt, die Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (Agab). Und ein Ableben ist nicht in Sicht. Stattdessen kommt morgen Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) – zum Gratulieren. Vielleicht bekommt Martin Lühr dabei ja Gelegenheit, ihr aus den rund 3.500 Beratungsgesprächen zu berichten, die die Agab seit Einführung von Hartz IV geführt hat.

Seine Bilanz jedenfalls ist eindeutig: Die Reform ist „im Prinzip misslungen“, sagt Lühr, eine Komplettrevision sei deshalb unumgänglich. „Die Übernahme der Sozialhilfelogik hat sich als zu aufwändig erwiesen.“ Das Ergebnis, so Lühr: „Fehlerhafte, unklare Bewilligungsbescheide“, die nicht nur für viele ALG-II-EmpfängerInnen, sondern auch für manch MitarbeiterIn der Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (Bagis) „nicht nachvollziehbar“ seien. Der Beratungsbedarf jedenfalls ist „riesig“, sagt Lühr – und weitaus größer als 2004, als Arbeitslosen- und Sozialhilfe noch nicht zusammengelegt waren.

Rund 800 Leute kommen in jedem Quartal zur Intensivberatung zur Agab, und zumeist sind es jene, sagt Lühr, „die eigentlich im Erwerbsleben stehen sollten“: Das Gros ist weiblich und zwischen 33 und 47 Jahren. Jenseits der 50 hingegen hätten viele – vor allem viele Frauen – mit dem Gedanken an einen Job schon abgeschlossen. Da helfen auch Lohnsubventionen kaum weiter, sagt Lühr. „Das ist nur ein hilfloser Versuch. Da entsteht kaum eine Stelle, die es sonst nicht geben würde.“

Mehr als 76.000 so genannte Bedarfsgemeinschaften gibt es derzeit allein in der Stadt Bremen, weitere 23.000 in Bremerhaven. In der Seestadt hängt mittlerweile jeder Fünfte von Hartz-IV-Geldern ab, im Bundesdurchschnitt ist es nicht einmal jeder Zehnte.

Zwar verkündet die Bagis, allein von Januar bis Mai sei es gelungen, 3.909 Personen in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, 2.542 davon ohne weitere Zuschüsse. Insgesamt, so Bagis-Geschäftsführer Thomas Schneider, nehme Bremen damit unter den Großstädten „einen Platz im oberen Mittelfeld“ ein.

Bei den Grünen interpretiert man diese Zahlen etwas anders: „Da werden Erfolge gemeldet, wo keine sind“, sagt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Silvia Schön. Denn als „integriert“ gelte jeder, der mindestens acht Tage in Lohn und Brot stehe, auch wenn es nur ein 400-Euro-Job sei. Ohnehin habe die Bagis nur sieben MitarbeiterInnen, die sich allein der Akquise von Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt widmen könnten. „Zugleich stellen sie 14 Leute für den Außendienst ab, um die Leute zu Hause zu beschnüffeln.“

Die Betroffenen indes, sagt Lühr, reagieren auf all das bislang „erstaunlich gelassen“. Doch Anfang des kommenden Jahres könnte es „knallen“, fürchten die fünf BeraterInnen der Agab. Dann nämlich steht bei vielen die Entscheidung über ihre Unterkunftskosten an. Wessen Miete 30 Prozent über dem festgelegten Regelsatz liegt, der hat Post von der Bagis bekommen – mit der Aufforderung, sich eine günstigere Bleibe zu suchen. Doch diesen billigen Wohnraum gibt es nicht, sagt die Gewoba. Dennoch sei „unsicher“, so Lühr, ob die Bagis höhere Mieten der Bedarfsgemeinschaften akzeptieren werde. Nicht wenige von ihnen gerieten jetzt „in Panik“. Da bleibt noch viel zu beraten.