EU-Politiker wirbeln Feinstaub auf

Die Europaparlamentarier finden den Vorschlag der Kommission für eine neue Richtlinie zu hart. Sie fordern neue Grenzwerte erst ab 2015, und die Bürger sollen die Mikropartikel 55 statt 35 Tage im Jahr einatmen dürfen. Umweltschützer sind entsetzt

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Als „Umweltskandal ersten Ranges in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung“ bezeichnet BUND-Geschäftsführer Gerhard Timm die Pläne des EU-Parlaments, die Feinstaubrichtlinie abzuschwächen. Das Vorhaben soll heute im Straßburger Plenum debattiert werden, morgen ist die Abstimmung geplant.

Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation sind winzige Partikel in der Atemluft für jährlich 350.000 vorzeitige Todesfälle in der EU verantwortlich. Deshalb will die EU-Kommission neben den bereits geltenden Grenzwerten für Partikel von 10 Mikrometer ab dem Jahr 2010 auch Höchstwerte für Kleinstpartikel von 2,5 Mikrometer festlegen.

Im Umweltausschuss des Parlaments wurde dagegen im Juni beschlossen, verbindliche Grenzwerte für Kleinstpartikel erst ab 2015 zu verlangen. Der deutsche Berichterstatter Holger Krahmer von der FDP sagt, dieser Vorschlag sei mittelfristig umweltschonender. Ab 2015 werde eine geringere Feinstaubbelastung zugelassen, als die EU-Kommission fordert.

Doch die schon jetzt geltenden Grenzwerte für Partikel von 10 Mikrometer möchte der Ausschuss durch großzügige Ausnahmeregelungen verwässern. Die Mitgliedstaaten sollen etwa die Zahl der Tage, an denen der Grenzwert überschritten werden darf, von 35 auf 55 Tage pro Jahr erhöhen dürfen.

„Wir sind entsetzt“, kommentiert BUND-Verkehrsexperte Werner Reh gegenüber der taz. „Seit diesem Jahr fällt auf, dass das Europaparlament unter deutscher Führung gegen guten Umweltschutz in die Bütt geht!“ Ein Grünen-Sprecher sagte am Freitag: „Es soll großzügige Ausnahmeregelungen geben, weil unsere Mitgliedstaaten und Gemeinden ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.“

Abgeordnete aus anderen EU-Ländern machen die große Koalition in Berlin für die ablehnende Haltung verantwortlich. Immerhin gehört jeder zehnte EU-Parlamentarier einer der beiden Koalitionsparteien an.

„In Berlin kümmert sich ein SPD-Minister um strenge Grenzwerte und eine klare Linie in der Umweltpolitik. Dagegen kann die CDU wenig machen und fällt ihm deshalb auf europäischer Ebene in den Rücken“, vermutet Reh. Auch bei den neuen Abgeordneten aus Osteuropa sei das Verständnis für Umweltschutz schwach entwickelt. Dabei sei die Feinstaubrichtlinie in Wahrheit industriefreundlich. „Die Autoindustrie müsste uns eigentlich täglich abküssen, weil wir ihr Image verbessern.“ In den USA und Japan gebe es schon jetzt so strenge Grenzwerte, zum Beispiel für Stickoxid, dass deutsche Pkws nicht mehr exportfähig seien. Reh: „Die Euro-5-Norm reicht da bei weitem nicht.“

In Deutschland ist das Thema Feinstaub zum Reizwort geworden. 26 Städte schafften es in diesem Jahr nicht, die Obergrenzen einzuhalten, und müssen, wenn sie die Feinstaubbelastung nicht senken, mit Strafgeldern aus Brüssel rechnen. Nur sechs von ihnen, darunter Berlin, Hamburg und München, attestiert der BUND, dass sie mit geeigneten Maßnahmen gegensteuern.

Sollte aber die Richtlinie entschärft werden, dann würden Städte wie Leipzig oder Augsburg für ihr Nichtstun belohnt, kritisiert BUND-Geschäftsführer Timm.

Nur der Ministerrat könnte noch gegensteuern. Im Juni sprach sich eine Mehrheit der Umweltminister dafür aus, an den strengen Vorschlägen der EU-Kommission festzuhalten. Die Städte sollen aber drei Jahre mehr Zeit bekommen, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Der finnische Ratsvorsitzende appellierte damals an die Abgeordneten, sich dieser Position anzuschließen.