Virtuelle Verdachtsgemeinschaft

Die Muslime in den USA haben unter dem „Krieg gegen den Terror“ besonders zu leiden: Ihre Bürgerrechte wurden stärker eingeschränkt als die jeder anderen Gruppierung

Die Frage ist: Können Muslime im gleichen Maß ihren Glauben praktizieren wie andere Amerikaner?

In den USA – einer Gesellschaft, die sich ihres Multikulturalismus rühmt – hat der aktuelle „Krieg gegen den Terror“ auf juristischem Wege das erste virtuelle Volk produziert, das Volk der Muslime. Gegenüber Arabern, Südasiaten und Muslimen setzt die US-Regierung heute sowohl auf Mittel der Repression wie auch auf Einschüchterung durch Panikmache. Durch eigens geschaffene „Designer-Gesetze“ versucht sie, diese Communities zu isolieren und neu zu strukturieren, indem sie eine breite Verdachtskategorie geschaffen hat, die fast ausschließlich auf einer Kombination aus nationaler Herkunft, Volkszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beruht.

Zuerst war da die Sicherungsverwahrung von 5.000 Männern, die aufgrund ihres Geburtsorts verhaftet wurden. Dann führte die Regierung zwischen den beiden Kriegen in Afghanistan und im Irak 19.000 „freiwillige“ Interviews durch. Die besondere Erfassung von 170.000 Männern aus 24 muslimisch geprägten Ländern leitete die Ausweisung von beinahe 14.000 Leuten ein. Nicht eine dieser Maßnahmen führte zu einer einzigen Verurteilung wegen Terrorismus. Aber zusammen dienten sie als Schauspiel, um zu zeigen, dass die Regierung auch zu Hause energisch durchgreift.

Fünf große muslimische Wohlfahrtsorganisationen wurden aufgrund des „Patriot Acts“ geschlossen, obwohl die Behörden nie einen stichhaltigen Beweis für irgendwelche Terrorverbindungen vorgelegt haben. Zuletzt wurden dem „Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen“ so weit die Hände gebunden, dass er anstelle von Geld lediglich Reis, Öl und Windeln an Bedürftige im Libanon schicken durfte. Sein Sprecher Ibrahim Hooper sagte der Washington Post: „Wenn man Linsen schickt, wird man wenigstens nicht des Terrorismus verdächtigt.“

Viele arabische und muslimische Einwanderer, die sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft bewerben, stoßen an eine unsichtbare Wand. Einer von ihnen ist Mustafa Aziz, ein Afghane, der vier Jahre in der US Air Force gedient hat. Er führte jüngst eine Gemeinschaftsklage gegen die Regierung an wegen der Verschleppung von Einbürgerungsanträgen. Nach dem Gesetz müssen Einbürgerungsbehörden innerhalb von 120 Tagen darüber befinden. Aziz und andere mussten bis zu vier Jahre warten, bis über ihre Zukunft entschieden wurde.

Während im „Krieg gegen den Terror“ in den USA viele politische Freiheiten eingeschränkt wurden, so gilt dies für Araber, Muslime und Südasiaten in besonderem Maße. Misstrauisch als fünfte Kolonne beäugt, die sich hinter den fünf Säulen des Islam versteckt, werden Muslime als Gruppe für die Taten anderer Muslime weltweit verantwortlich gemacht. Sie gelten als schuldig, bis ihre Unschuld bewiesen ist. Ihre Schuld macht sich fast ausschließlich an ihrem Geburtsort oder ihrer Religion fest. Diese Sippenhaft mag an die McCarthy-Ära erinnern, tatsächlich aber gaben die USA während des Kalten Kriegs in Fragen ethnischer Diskriminierung ein besseres Bild ab als heute. Der Kalte Krieg führte zu massiven Repressionen in den USA und teilte die Welt in Einflusssphären auf. Aber seine globale Agenda wirkte sich auch auf die US-Innenpolitik aus. Von Truman bis Johnson sahen sich US-Präsidenten mit dem Widerspruch konfrontiert, dass ihre Regierung im Ausland für Freiheit eintrat, während sie zu Hause die Rassentrennung aufrechterhielt. Weil Kritiker immer mehr auf diesen Widerspruch aufmerksam machten, mussten spätere Regierungen reagieren.

Was für einen Unterschied ein Krieg doch macht. Um den Anforderungen im globalen Wettbewerb um die Führungsrolle zu genügen, wurde während des Kalten Kriegs die juristische Rassengleichheit ausgeweitet. Der „Krieg gegen den Terror“, ebenso reich an Freiheitsrhetorik, zeitigt dagegen genau den entgegengesetzten Effekt. Vorsätzlich werden die Rechte von Muslimen als Gruppe beschnitten, um dem Rest der Welt zu zeigen, wie man hart gegen den Terror vorgeht. Dieses Vorbild wird im Westen weithin kopiert.

Die Parallelen und Paradoxien mit Blick auf den Kalten Krieg gehen noch weiter. Seit den 50er-Jahren versuchte das State Department, durch intensive Propagandabemühungen den nörgelnden Berichten der internationalen Presse zu begegnen. Das Außenministerium sandte prominente, afroamerikanische Jazzmusiker in die Welt, um die Wunder der ethnischen und musikalischen Harmonie in den USA vorzuführen. Im Juni wurde das State Department wieder von ähnlichen Ideen erleuchtet. Die PR-Beauftragte Karen Hughes ernannte vier muslimische Amerikaner zu „zivilen Botschaftern“, die nach Europa reisen und zeigen sollen, wie warmherzig die USA Muslime willkommen heißt. Radio Free Europe zufolge will man damit zeigen, dass die USA ihren Muslimen „demokratische Werte, Möglichkeiten und Freiheiten“ zu bieten haben, „die jenseits ihrer Vorstellungskraft liegen“.

Es geht jedoch nicht um das Leben, das sich Muslime erträumen. Noch geht es um die Frage, ob Muslime in den USA größere Freiheiten haben als ihre Glaubensbrüder in Europa und anderswo. Die Frage ist vielmehr, ob Muslime als Gruppe die gleiche Möglichkeit haben, ihren Glauben zu praktizieren und ihre Rechte in Anspruch zu nehmen, wie dies andere Amerikaner tun. Angesichts der Einschränkungen ihrer Freiheiten und der unter Muslimen weit verbreiteten Angst, unpopuläre Meinungen zu äußern, und der Allgegenwart von Polizeiinformanten selbst an Orten, an denen es keinen Grund gibt, illegale Aktivitäten zu vermuten, kann die Antwort nur Nein lauten.

Die Sippenhaft mag an die McCarthy-Ära erinnern. Doch die Ausgrenzung trug damals andere Züge

Nach fünf Jahren „Krieg gegen den Terror“ haben sich zudem die Einstellungen verhärtet. Die Zahlen sind deprimierend: 39 Prozent aller Amerikaner geben laut einer Umfrage zu, Vorurteile gegen Muslime zu hegen. Die gleiche Zahl der Befragten ist der Meinung, dass Muslime – einschließlich von US-Bürgern – spezielle Personalausweise tragen sollten. Und mehr als einer von fünf möchte keine Muslime als Nachbarn haben. Zugleich bleibt das Wissen über den Islam diffus – trotz löblicher Versuche lokaler und landesweiter Muslim-Verbände, Aufklärungsarbeit zu leisten. Beinahe 60 Prozent aller Amerikaner haben noch nie einen Muslim getroffen. Einer von zehn denkt, Muslime glaubten an einen Mondgott.

All das vermag arabische Amerikaner wie mich nicht zu überraschen. Seit 1971 hat die Regierung illegal unsere Gespräche abgehört, unsere politischen Organisationen infiltriert, deren Mitglieder aufgrund „geheimer“ Indizien verhaftet und deren Köpfe (einschließlich Edward Said) ausspioniert. All das wurde getan, um die US-Politik im israelisch-palästinensischen Konflikt zu untermauern. Aber es gibt einen Unterschied zu früheren Zeiten. Vor 2001 konzentrierte die Regierung ihre Bemühungen auf Einwanderer und Aktivisten, insbesondere auf eingewanderte Aktivisten. Heute dagegen reicht die Zugehörigkeit zur Gruppe der Muslime für einen Generalverdacht. MOUSTAFA BAYOUMI

Übersetzung: Daniel Bax