Diese Woche wird wichtig für …
: Günter Struve

… weil der ARD-Programmdirektor nach der Verschiebung des polarisierenden Migrantendramas „Wut“ zeigen muss, wie sehr das Erste noch daran interessiert ist, gesellschaftspolitische Kontroversen anzustoßen

Die Dreistigkeit der ARD nimmt schon atemberaubende Züge an. Während man sich in Sachen Sonderverträge mit Jan Ullrich unbeeindruckt jeglicher Kritik zeigt und die Verantwortlichen, Programmdirektor Günter Struve und Sportkoordinator Hagen Boßdorf, im Amt bestätigt, ist man in der Kontroverse um den Fernsehfilm „Wut“ sang- und klanglos eingeknickt. Statt zur Primetime am Mittwoch um 20.15 Uhr wird der provozierende Film kurzfristig auf Freitag 22 Uhr verschoben.

In „Wut“ bedrängt der türkischstämmige Prolet Can erst seinen deutschen Mitschüler Felix, dann auch dessen bildungsbürgerliche Eltern. Die schwanken in ihrer Reaktion so lange zwischen liberaler Hilfslosigkeit und stumpfem Ressentiment, bis der Gewalt auch nur noch Gewalt entgegenzusetzen wissen.

Als Film, der „radikale Fragen stellen“ will (Gebhard Henke vom federführenden WDR), hat „Wut“ bereits auch radikale Reaktionen erfahren: Der Film mache „den Zuschauer zum Komplizen des Hasses auf einen Fremden“, urteilte der Spiegel in der Ausgabe vom 18. 9., einem Heft, das übrigens gleichzeitig den „Kulturkampf zwischen Orient und Okzident“ als Titelgeschichte hatte. „Eine Aneinanderreihung von Klischees, wie ich es noch nie gesehen habe“, ließ sich die Berliner Boulevardzeitung BZ vom stets auskunftsfreudigen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky in den Block diktieren.

„Wut“, die Film gewordene Multikultiprovokation? Tatsächlich ist das Werk von Autor Max Eipp und Regisseur Züli Aladag zutieftst reaktionär. In seinem Bedrohungsszenario für die bürgerliche Familie ist der Film nämlich viel näher an J. Lee Thompsons Thrillerklassiker „Kap der Angst“ als an Detlev Bucks Problemkiezschocker „Knallhart“ dran. Dass der brutale Eindringling Türke ist, ist dramaturgisch überflüssig – denn mit speziell migrantischer Kriminalität hat das nichts zu tun.

Doch auch wenn Eipp und Aladag Ethnie als Eskalation ausschlachten: Der Film gehört in die Primetime. Wo sonst nur Winzerkönigharmonie herrscht, ist Missklang bitter nötig. „Wut“ ist eines dieser oft eingeforderten, doch selten eingelösten gesellschaftspolitischen Statements der ARD. Nun hat man ihm mit der Verschiebung in den späteren Abend die gesellschaftliche Resonanz entzogen.

„Ich bin nicht wütend, ich bin enttäuscht. Ich hätte uns ein bisschen mehr Courage zugetraut“, kommentierte WDR-Intendant Fritz Pleitgen die Umprogrammierung so. Das kann man mittlerweile eigentlich auf jede Entscheidung der ARD-Oberen übertragen. Hannah Pilarczyk