Der German-Save-Style

Heute gibt der EU-Fortschrittsbericht Auskunft über die Beitrittsfähigkeit Rumäniens. Die Jugend des Landes ist schon lange bereit für Veränderungen, von den angeblichen Schrecken der „Prekarität“ in Deutschland kann sie nur träumen

VON STEFAN NIKLAS

Jung zu sein in Deutschland ist doch kein Spaß mehr. Studiengebühren, Bildungsreform, keine Ausbildungsplätze, keine Aussichten auf vernünftige Altersvorsorge und überhaupt: Dieser ganze Sozialabbau macht die Angehörigen der „Generation Praktikum“ doch zu „prekären Existenzen“, die von der einstigen Sicherheit in diesem Land nur noch träumen können. Wer kann da noch sagen: „Deutschland find’ ich gut“?

Catalin zum Beispiel, der kann das sagen. Catalin, kurz Cata, ist Rumäne, kommt aus Brasov und studiert in Cluj-Napoca. Beide Orte liegen in Transsylvanien, das auf Deutsch auch besser als Siebenbürgen bekannt ist. Cata spricht sehr gut Deutsch, und so schlägt er auch in dieser Sprache vor: „Lass uns ein Bier trinken gehen!“ Es ist ein verdammt heißer Tag in Brasov, der schönen Stadt direkt im Kapartenknie, und der Durst will gelöscht werden. „Lass uns das local beer nehmen, dass ist ohnehin das billigste.“ Und so bestellt er zwei Ciucas, benannt nach einem Berg in der Nähe von Brasov, der das Wasser für das Bier spendet. Es trinkt sich am besten in einem Biergarten unter einer schönen alten Linde, jener Baumart, unter der schon Mihai Eminescu, der Goethe Rumäniens, am liebsten schrieb. Erst vor ein paar Jahren wurde die Linde international erfolgreich von der nervig einprägsamen Popband O-Zone in „Dragostea din tei“ besungen.

Catalin erzählt. Er studiert Geografie, auf Deutsch. Wenn man ihn sprechen hört, könnte man meinen, er gehöre zur deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen aus Kronstadt, wie Brasov auf Deutsch heißt. Ist aber nicht so, und er war auch auf keiner der deutschen Schulen, von denen es in Transsylvanien immer noch einige gibt. „Na ja, ich hatte halt Deutsch in der Schule und bin dann ein Jahr nach Würzburg gegangen. Danach konnte ich es eben.“ Und warum studiert er überhaupt auf Deutsch? „Das ist besser“, lautet die knappe Antwort hierauf.

Saubere Schuhe

Lob für die Schönheit Brasovs nimmt Catalin mit Freude entgegen, Besucher führt er mit einigem Stolz durch seine Heimatstadt. Nur einen großen Unterschied gäbe es zwischen Brasov und Würzburg: Wenn man durch Würzburg liefe und runter auf seine Schuhe schaute, dann sähe man dort gar keinen Staub. Würzburg ist so sauber und ordentlich, das gefällt Cata. „In Leipzig ist es gut, jung zu sein, und in Würzburg kann man schön alt werden“, beurteilt er die beiden deutschen Städte, die er am besten kennt – Berlin war ihm zu groß.

Catalin ist kein lauter Mensch. Er redet unaufdringlich und manchmal geradezu unbedarft. Dennoch strahlt sein junges Gesicht zuweilen etwas Sorgenvolles aus. Ruhig kratzt sich er am Drei- bis Viertagebart, streicht eine Strähne seiner langen, dunklen Haare aus dem Gesicht, scheint zu überlegen und kramt schließlich in seiner Hosentasche. Zum Vorschein kommt eine schwarze, runde Dose. Darin befinden sich kleine, seltsame, dreckig aussehende Beutel. „Das ist Tabak“, erklärt er. „Nicht zum kauen, sondern einfach zum im Mund behalten. Product of Scandinavia!“ Cata mag Dinge, die aus Skandinavien, besonders aus Norwegen kommen. Dort war der reiselustige Geografiestudent letzten Sommer, und er hat dort auch einige Freunde. „Norwegen fand ich noch besser als Deutschland.“ Das will was heißen! „Und wenn man schon Deutsch kann, dann kann man auch ganz einfach Norwegisch lernen“. Ach, tatsächlich? Aber warum will er eigentlich Norwegisch lernen? Nun, aus dem gleichen Grund, aus dem er auch Deutsch gelernt hat. Und er bringt es dann auch gleich auf den Punkt: „Klar würde ich meinen rumänischen Pass gegen einen besseren eintauschen.“ Einen besseren? Ist der rumänische denn so schlecht? Er zögert dann doch und meint, dass er natürlich Rumäne ist und bleibt, aber ein deutscher oder norwegischer Pass „würde schon so einige Vorteile mit sich bringen“.

Ein funktionierendes Gesundheitssystem zum Beispiel oder Sozialhilfeanspruch oder auch Renten, die tatsächlich ausgezahlt werden. Nur wie kommt man an einen solchen Pass dran? „Na, ich such’ mir einfach eine wunderschöne Norwegerin – blond und so – und die heirate ich dann einfach“, scherzt er. Oder meint er es ernst? Eine Bekannte Catas aus Cluj meint dazu, sie würde „alles tun, um nach Deutschland zu kommen und dort zu bleiben. Alles außer Scheinehe!“ Die käme niemals infrage, wie sie häufig betont. Denn damit habe schon ihre Cousine ausgesprochen schlechte Erfahrungen gemacht. Welche, sagt sie nicht. Die Bekannte spricht astreines RTL-2-Deutsch, denn dieser Fernsehsender war ihr bevorzugter Sprachlehrer. Sie will also wieder nach Deutschland, genauer nach Schwaben, wo sie schon mal ein Jahr gewesen ist. Andere Freunde von Catalin gehen nach Florida oder waren gerade in Hongkong, um dort zu arbeiten.

Die meisten Rumänen, die ihr Land verlassen, um woanders zu arbeiten und zu leben, gehen nach Italien oder Spanien, weil es für sie einfacher ist, die ebenfalls romanischen Sprachen zu lernen. Daneben sind natürlich die USA und vor allem Kanada ganz hoch im Kurs bei den Auslandsrumänen. In allen größeren rumänischen Städten finden sich Agenturen, die arbeitswillige Rumänen anwerben, die nach Kanada emigrieren wollen. Doch auch in Deutschland leben zirka 73.000 Rumänen, in der Mehrzahl handelt es sich bei ihnen um deutschstämmige Siebenbürger Sachsen oder Banatschwaben. Diese wohnen vor allem im Süden der Bundesrepublik, in Baden-Württemberg und in Bayern. In Nürnberg gibt es sogar eine rumänisch-orthodoxe Kirche mit eigenem Metropoliten.

Nahezu jeder in Catalins Umfeld hat einen Verwandten oder Bekannten, der in Deutschland lebt oder gelebt hat und vielleicht sogar die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat. Allein 2005 sind 1.789 Personen in Deutschland eingebürgert worden, die zuvor einen rumänischen Pass hatten. Aber warum wollen sie, die jungen Rumänen, denn alle dieses schöne Land verlassen? Für eine solche Frage wird man nur verständnislos angeschaut.

Auch wenn die Arbeitslosenrate bei „nur“ 5,9 Prozent liegt, leben dennoch 25 Prozent der Rumänen unterhalb der Armutsgrenze. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 183 Euro und auch die können sich Cata & Co. nicht problemlos neben dem Studium verdienen. Zudem stimmt das Image vom durchweg „billigen Osten“ schon lange nicht mehr: Für Kleidung nehmen die Geschäfte in Rumänien im Prinzip das Gleiche wie in Deutschland. Benzin kostet über ein Euro pro Liter. Und wenn man als Student wie Cata in Cluj wohnen möchte, so teilt man sich am besten ein Zimmer in einem der Wohnheime, gern auch mal mit vier weiteren Leuten. Aber zum Glück ist das Essen billig und wenn sich jemand ein teures T-Shirt von Adidas oder Mango kaufen möchte, kann er oder sie dafür ja einfach zwei Wochen lang Mamaliga, den für Rumänien so typischen Maisbrei essen.

Saftige Flüche

Das Ciucas beginnt zu wirken, und Cata schwenkt auf momentan greifbarere Probleme um. Er vergleicht die deutsche und die rumänische Art zu fluchen und welche Rolle dabei eigentlich die Mutter spielt. Cata findet, dass deutsche Flüche nicht „saftig“ genug seien. Außerdem klingen rumänische Flüche, wenn man sie auf Deutsch sagt, gleich viel zu derb und stillos. Das hat ihn an Deutschland dann doch sehr enttäuscht. „Das einzig Gute, was ich dazu bei euch gehört habe, war, als einer zum Abschied sagte: ‚Grüß deine Mutter‘.“ Das war saftig, das war Rumänisch!

Schließlich ist das Bier ausgetrunken, und Catalin möchte noch ein paar von seinen Kumpels treffen, um gemeinsam Fußball zu gucken. Die wohnen allerdings nicht in der wunderschönen Altstadt von Brasov, sondern in einem der vielen noch unter Ceaucescu errichteten Wohnblocks, wie die meisten Rumänen. Selbst in einer Perle wie Brasov gibt es diese Bauten, wie überall im Land. Das Gute an diesen Blocks ist jedoch, dass man gewöhnt ist, sie für hässlich zu halten, so dass man nichts von ihnen erwartet und doch gelegentlich überrascht sein kann, wenn sie am Ende gar nicht so schlecht sind. Vielleicht gilt etwas Ähnliches ja auch für Rumänien überhaupt: Hier erwartet sich keiner was, aber ist es wirklich so schlecht?

Um zu den Blocks zu gelangen, muss eine breite Hauptstraße mittels Zebrastreifen überquert werden. Auf der Mitte der Straße angelangt, kommen viel zu schnelle Autos herangerast. Jetzt heißt es rennen! Keuchend aber heil auf der anderen Straßenseite angekommen, sagt Catalin mit großen Augen: „Verdammte Scheiße! Das hasse ich so an Rumänien. Ich steh’ einfach vielmehr auf den German-Save-Style.“ Dass Cata mit dem Anglizismus wahrhaft authentisches Deutsch spricht, weiß er gar nicht. Mit dem „German-Save-Style“ meint er übrigens nicht nur Zebrastreifen, die respektiert werden. Nein, damit meint er ein Versprechen. Das Versprechen einer diffusen Sicherheit, nach der sich er und viele andere hier sehnen.