Luftverschmutzer gewinnen mehr Zeit

Das Europaparlament will Städten und Gemeinden, die bei der Feinstaubbekämpfung nicht vorankommen, bis zu sechs Jahre Aufschub gewähren und auch bei kurzfristigen Maßnahmen mehr Spielraum geben. Umweltschützer zeigen sich empört

VON BEATE WILLMS

Bei der Feinstaubbekämpfung hat das Europaparlament auf die Bremse getreten. Städte und Gemeinden sollen künftig eine Übergangsfrist von bis zu sechs Jahren beantragen dürfen, wenn sie die seit dem vergangenen Jahr geltenden Grenzwerte nicht einhalten können. Auch mit kurzfristigen Maßnahmen können sie sich mehr Zeit lassen: Wenn der Ministerrat der Entschließung der Europaparlamentarier von gestern zustimmt, brauchen sie erst einzugreifen, wenn der Tagesgrenzwert an mehr als 55 Tagen überschritten wird. Voraussetzung: Sie weisen nach, dass sie eine besonders ungünstige geografische oder meteorologische Lage haben oder alle „zumutbaren Maßnahmen“ erfolglos blieben.

Feinstaub sind winzige Staubpartikel, die kleiner als 10 (PM 10) oder 2,5 (PM 2,5) Mikrometer sind und in Städten vor allem aus ungefilterten Dieselabgasen und Industrieemissionen stammen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft sie in jeder Konzentration als gesundheitsschädlich ein, weil sie eingeatmet werden und dann Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen auslösen und innere Organe schädigen können. Seit Januar 2005 gilt in der EU ein Jahresgrenzwert von durchschnittlich 40 Mikrogramm PM 10 in einem Kubikmeter Luft. Der Tagesgrenzwert liegt bei 50 Mikrogramm und darf an höchstens 35 Tagen im Jahr überschritten werden.

Die Überarbeitung der Richtlinie hatte ursprünglich zum Ziel, zusätzliche Grenzwerte für die besonders schädlichen PM 2,5 aufzustellen. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass schon die bisherigen Grenzwerte für PM 10 von vielen Städten und Gemeinden nicht eingehalten werden. Allein in Deutschland meldeten in diesem Jahr schon mindestens 60 Messstellen mehr als 35 Überschreitungen, mindestens 10 Stationen mehr als 55. Daraus hatte die Kommission gefolgert, dass die Grenzwerte zu ambitioniert seien.

Sie leitete einen entsprechenden Vorschlag an das Europaparlament, dem dieses jetzt in weiten Teilen folgte. Lediglich den Jahresgrenzwert wollten die Abgeordneten verschärfen: Statt 40 sollen künftig nur noch 30 Mikrogramm PM 10 gemessen werden dürfen. Einen verbindlichen Grenzwert für PM 2,5 soll es erst ab 2015 geben.

Sehr verärgert über das Ergebnis der Abstimmung war die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer. „Das Europaparlament hat sträflich versagt“, erklärte sie. „Die EU verspielt ihre Vorreiterrolle im Umweltschutz.“ De facto handle es sich um einen „Kniefall vor den kurzfristigen Interessen der Industrie“.

Ähnlich argumentierte Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Treibende Kraft hinter der Aufweichung der Richtlinie sei Deutschland gewesen – und hier vor allem die Bundesländer. Insbesondere Bayern und Baden-Württemberg hätten die Richtlinie regelrecht torpediert: In den beiden Ländern befinden sich mit Stuttgart und München nicht nur die dreckigsten Städte Deutschlands, sie beherbergen auch drei der großen deutschen Autokonzerne.