Wahlrecht durchgepaukt

Begleitet von heftiger Oppositionskritik stimmt die CDU ihre Wahlrechtsnovelle in erster Bürgerschaftslesung durch. Eine endgültige Entscheidung wird aber erst am 11. Oktober fallen

VON MARCO CARINI

Kein Platz blieb leer. Die Hamburgische Bürgerschaft war gefüllt wie selten, wo sonst die Abgeordnetenbänke halb leer bleiben, herrschte Gedrängel. Denn in der namentlichen Abstimmung (nach Redaktionsschluss) um das neue, umstrittene Wahlrecht zählte gestern jede Stimme. Nur 62 der 121 Abgeordneten wollten für den CDU-Entwurf stimmen, da neben SPD und GAL auch der CDU-Abgeordnete Bruno Claußen angekündigt hatte, gegen das Gesetz zu votieren.

Zum Schwur kommt es jetzt am 11. Oktober, wenn das Gesetz in zweiter Lesung endgültig verabschiedet werden soll. Nie zuvor in der laufenden Legislaturperiode hatte die CDU so mit dem Rücken zur Wand gestanden wie in der vorangegangenen Debatte.

So warf SPD-Parteichef Mathias Petersen der CDU vor, mit ihrer Wahlrechtsänderung „ein Sonderprogramm zur Förderung der Politikverdrossenheit aufzulegen“ und einen „Wahlrechtsraub“ zu begehen. Der Eindruck, es sei völlig nutzlos, sich an Volksentscheiden zu beteiligen, werde „weiter zunehmen“ und „den rechten Rattenfängern Menschen in die Arme treiben“. Ole von Beust warf Petersen vor, „feige und pflichtwidrig zu handeln“, indem er in der öffentlichen Debatte schweige.

„Es ist nicht angebracht an einer vom Volk beschlossenen Wahlrechtsänderung Änderungen durchzuführen“, beklagte die GAL-Fraktionsvorsitzende Christa Goetsch. Die CDU stelle damit „die demokratischen Verhältnisse auf den Kopf“, indem sie „den Wählern vorschreibt, wie sie sie zu wählen haben“. Eine Volksabstimmung sei aber keine „unverbindliche Stimmungsumfrage“. Von Beust halte dabei einen „deutlichen Sicherheitsabstand“ zu der Debatte, „um sich die Finger nicht schmutzig“ zu machen. „Wenn die CDU heute gegen den Volkswillen putscht und in seinem Ursprung bricht, weiß jedes Kind in dieser Stadt, wie machtbesessen sie sind“. sagte der GAL-Verfassungsexperte Farid Müller.

CDU-Fraktionschef Bernd Reinert ließ sich auf die Debatte um den demokratischen Gehalt der geplanten Wahlrechtsänderung gar nicht ein, sondern kritisierte ausschließlich das Volksentscheids-Wahlrecht. Reinert betonte, er habe „verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen das Volksentscheids-Wahlrecht, das zahlreiche „Systemfehler“ beinhalte. So könne die bereits laufende Legislaturperiode der Bezirksversammlungen nicht einfach per Gesetz verlängert werden. Nach dem gültigen Wahlrecht hätte zudem eine Partei, die die Mehrheit der Stimmen erhält, nicht automatisch auch die Mehrheit im Parlament. Deshalb müsse die CDU „Korrekturen“ in das derzeit gültige Gesetz einfügen.

Reinerts Fraktionskollege Kai Voet van Vormizeele hatte der SPD zuvor vorgeworfen, sie sei inhaltlich zwar gegen das Volksentscheids-Wahlrecht, schlage sich aber populistisch „in die Büsche“ und überlasse „der CDU die Schmutzarbeit“.

Diese Schmutzarbeit will die Unionsfraktion am 11. Oktober in der Bürgerschaft erneut erledigen, wenn es gilt, das neue Wahlgesetz in zweiter Lesung endgültig zu beschließen. Unmittelbar danach wird die von der GAL initiierte Klage gegen den Entwurf beim Hamburger Verfassungsgericht eingereicht werden. An der Klage beteiligen wird sich auch der Verein „Mehr Demokratie“, der das Volksentscheids-Wahlrecht auf den Weg gebracht hatte. Das kündigte der Vereinssprecher Manfred Brandt an.

„Es geht um die Frage, ob die CDU alles machen darf, wozu sie meint, die parlamentarische Mehrheit zu haben“, betonte gestern der SPD-Innenexperte Andreas Dressel. Eine Frage, die voraussichtlich bald die Juristen zu entscheiden haben.