Staat will nicht zahlen für SS-Massaker

Griechische Kläger fordern Schadenersatz für die Massenhinrichtungen, die Einheiten der SS 1943 in Kalavrita verübt haben. Der Europäische Gerichtshof muss nun entscheiden, ob Gerichte in Griechenland für solche Klagen überhaupt zuständig sind

VON CHRISTIAN RATH

Muss Deutschland doch noch Schadenersatz für SS-Massaker in Griechenland bezahlen? Die Nachkommen der Opfer haben das Verfahren jetzt zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg getragen. Gestern fand die mündliche Verhandlung statt.

Während der deutschen Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg töteten SS-Einheiten tausende von Menschen. Das größte Gemetzel fand am 13. Dezember 1943 im Ort Kalavrita und seiner Umgebung statt. Mindesten 676 Menschen wurden damals bei einem Racheakt der deutschen Truppen ermordet.

Deutschland hat dieses und ähnliche Massaker als Kriegsverbrechen anerkannt und sich mehrfach bei den Betroffenen entschuldigt. Schadenersatz aber will die Bundesrepublik nicht bezahlen.

In den 60er-Jahren hat Griechenland zwar umgerechnet rund 57 Millionen Euro Globalentschädigung aus Deutschland erhalten. Diese bezog sich aber nur auf Opfer der NS-Verfolgung wegen Rasse oder Weltanschauung – also nicht auf die Opfer wahlloser Erschießungen durch die Waffen-SS.

Seit Deutschland 1990 seine Souveränität wiedererlangte, ist klar, dass es auch in Zukunft keinen Schadenersatz für die SS-Massaker bezahlen will. Die Angehörigen der griechischen Opfer zogen deshalb vor griechische Gerichte und verklagten Deutschland.

Der EuGH muss nun auf Vorlage des Oberlandesgericht Patras entscheiden, ob solche Gerichtsverfahren in Griechenland überhaupt zulässig sind. Wenn Deutschland diesen Prozess verliert, muss es mit unzähligen Zivilprozessen in den vielen EU-Staaten rechnen, in denen es einst zu deutschen Kriegsverbrechen gekommen war.

Kein Wunder, dass der deutsche Vertreter Burkhard Heß, Rechtsprofessor in Heidelberg, gestern die Zuständigkeit griechischer Gerichte bestritt. So sei schon das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen nicht anwendbar. Massaker von Soldaten seien „hoheitliche Akte“ und deshalb keine „Zivil- und Handelssachen“. Klägeranwalt Joachim Lau konterte: „Die Klagen wegen Amtspflichtverletzungen sind in allen europäischen Ländern dem Zivilrecht zugewiesen.“

Zweiter Streitpunkt war, ob das Brüsseler Übereinkommen vom völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität verdrängt wird. Dieser Grundsatz besagt, dass kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen darf.

Nach Ansicht der Bundesrepublik gilt die Staatenimmunität auch für SS-Massaker. Solche Fragen müssten völkerrechtlich, zum Beispiel durch Reparationen im Rahmen eines Friedensvertrags geklärt werden. Wieder hielt Klägeranwalt Lau dagegen: „Zumindest bei offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen kann die Staatenimmunität nicht gelten.“

Auch für die Kläger ist das Luxemburger Verfahren von entscheidender Bedeutung. In Griechenland haben sie in Parallelverfahren zwar schon Urteile zu ihren Gunsten erzielt. Nach Druck aus Deutschland verweigerte jedoch das griechische Justizministerium die Zustimmung zur Vollstreckung. Klagen in Deutschland scheiterten in allen Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Derzeit versuchen die Kläger deshalb, rechtskräftige griechische Urteile in Italien zu vollstrecken (siehe dazu taz vom 13. 10. 2005). Scheitert die Klage in Luxemburg, dürfte auch dieser Weg versperrt sein.

Am 8. November wird der unabhängige Generalanwalt am EuGH seinen Schlussantrag halten. Mit dem Urteil wird Anfang 2007 gerechnet.