„Hosen runter, Wahrheit raus!“

Der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir hat Murat Kurnaz besucht. Er sagt, es sei schwierig zu beweisen, dass er nicht gefoltert wurde

taz: Herr Özdemir, Sie haben Murat Kurnaz bereits mehrmals getroffen, kennen ihn wahrscheinlich besser als jeder andere Politiker. Waren Sie überrascht von der Nachricht, dass er von deutschen Soldaten in Afghanistan gefoltert worden sein soll?

Cem Özdemir: Ja. Wenn die Vorwürfe stimmen, stellt sich natürlich die Frage, ob die Soldaten auf eigene Faust gehandelt haben oder ob Vorgesetzte eingeweiht waren. Daraus ergeben sich eine Menge neuer Fragen für den Untersuchungsausschuss des Bundestages und des Europaparlaments.

Hat Herr Kurnaz Ihnen nie von dem Vorfall erzählt?

Nein. Bei unseren Gesprächen achte ich sehr penibel darauf, dass sie nicht wie Vernehmungen aussehen. Murat Kurnaz hatte ja auch ein Leben vor Guantanamo Bay. Und wir müssen darauf achten, dass er auch eines danach hat. Mir geht es in unseren Gesprächen darum, herauszufinden, ob und wie er Fuß fassen kann in seiner Heimat Bremen.

Sie halten ihn für glaubwürdig?

Ich will mich da nicht zum Richter aufschwingen. Das ist Aufgabe der Gerichte und Untersuchungsausschüsse. Mein privater Eindruck war allerdings, dass seine Schilderungen oft sehr präzise waren. Somit wird es schwierig, das Gegenteil zu behaupten. Aus der bisherigen Arbeit des Untersuchungsausschusses wissen wir auch, dass sich viele Vorurteile Zeugen gegenüber als nicht haltbar erwiesen haben. Es kommt am Ende alles raus, und das wird auch hier der Fall sein.

Welche politischen Konsequenzen müssen jetzt gezogen werden?

Wir wollen unbedingt, dass Außenminister Steinmeier zu uns in den EU-Untersuchungsausschuss kommt. Aber auch der Präsident des Bundesnachrichtendienstes und ehemalige Koordinator der Sicherheitsdienste im Kanzleramt, Ernst Uhrlau. Wir haben eine Menge Fragen. Alle beteiligten Stellen, vor allem das Innenministerium, die Nachrichtendienste und natürlich auch die USA, sollten endlich die Hosen runterlassen und mit der Wahrheit rausrücken! Das wäre für alle Beteiligten angenehmer, als sie häppchenweise zu erfahren.

Ist es denn sinnvoll, Herrn Kurnaz selbst vorzuladen?

Nach dem Interview gibt es wohl eine veränderte Lage. Wir sind im Kontakt mit Herrn Kurnaz, um eine Möglichkeit zu finden, mit ihm vor dem Ausschuss zu sprechen.

Wäre es nicht besser gewesen, Herr Kurnaz hätte seine Erfahrungen exklusiv im Ausschuss erzählt an- statt in einem Nachrichtenmagazin?

Wer schon mal in einem Ausschuss saß, weiß, dass das kein Privatissimo ist, wo die nötige Sensibilität allseits gewahrt wird. Ich kann mir vorstellen, dass das Gespräch mit einem, womöglich einfühlsamen, Journalisten aus Herrn Kurnaz’ Sicht die bessere Variante war. Aber nachdem er jetzt an die Öffentlichkeit gegangen ist, wäre es natürlich hilfreich, wenn er auch in den Ausschuss käme.

INTERVIEW: DOMINIK SCHOTTNER