DIE ACHSE DES HIPHOP VON JULIAN WEBER
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Dopebeat mit Spinnenbeinen

Nehmen wir an, Hiphop ist eine verwitterte Statue, dann sitzt J Dilla in ihrem Innern und lässt den Lack außen weiter abplatzen. „No singing, no horns, just raw“, so hat er einmal seine reduzierte Klangvorstellung von Hiphop beschrieben. Im Kern eines Dilla-Tracks steht der Rhythmus. Dillas Schlagzeugsound ist lo-fi, gerne shuffelnd, aber genau akzentuiert auf einzelne Tomtom- oder Hihat-Schläge. Ein Dopebeat mit Spinnenbeinen. Er hat Stars wie Kanye West und Eryka Badu produziert, im Hintergrund an den Karrieren anderer gewerkelt.

Als er im Februar an einer unheilbaren Blutkrankheit gestorben ist, arbeitete Dilla an seinem eigenen Album „The Shining“. Es sollte ein klassisches Beattape werden. Busta Rhymes ergreift das Mikrofon, D’Angelo macht seine Aufwartung und Common, der Dilla liebevoll „world famous beat junkie“ nennt. Ein Beatjunkie, der auch Posaune spielen konnte, Cello und Geige. „Hardcore sind die anderen, ich mache lieber Mädchenmusik“, sagte Dilla. Er rückte den Edelboutiquenflair von Hiphop zugunsten von Soul in den Hintergrund. Mal offensichtlich mit einem Three-Degrees-Sample, mal durch die Hintertür mit Progrockorgeln, fiesen Keyboard-Signaltönen und Techno-Düsternis, die er in seiner Heimatstadt Detroit aufgeschnappt hatte, aber immer musikalisch unberechenbar.

J Dilla: „The Shining“ (BBE/RTD)

Künstliches Herz der Finsternis

„Die Rap-Oldschool reimte doch auch über die Musik von Kraftwerk. Umgekehrt inspirierte Rap ein Dancefloorgenre wie HipHouse.“ Dabrye ist das Hiphop- Alias von Tadd Mullinix, einem DJ und Produzenten aus der Nähe von Detroit, der in vielen Welten zu Hause ist. „Two/Three“ ist aufgebaut wie ein traditionelles Beattape: Dabrye nahm Kontakt mit seinen Lieblingsrappern auf, darunter Namen wie A.G., Dilla und Beans. Er versteht Hiphop undogmatisch als eine Säule neben Acid oder Jungle. Durch dieses Aufweichen der Konturen führt Dabryes Hiphop in die Zukunft. Melodien werden nur angedeutet, Samples abgebrochen, der Flow ist nicht stringent. Erst mit Jungle brachte sich Mullinix bei, Hiphop-Beats zu programmieren.

Das Junglerevival steht erst noch bevor, der ruckartige Beat auf „Two/Three“ hat schon mal die Rapper zum Umdenken gezwungen: „I’m anti-gravity“ reklamiert Kadence, als er aus der Umlaufbahn eines Beats katapultiert wird. „Klar könnte meine Klangpalette von meinem direkten Umfeld in Detroit beeinflusst sein. Mehr hat mich schon immer meine Reaktion auf andere Musikstile interessiert, die gerade passieren.“ Dabrye hat Hiphop ein künstliches Herz der Finsternis eingepflanzt. Er nimmt das Sample als Ausgangspunkt, um eine Stimmung voranzutreiben.

Dabrye „Two/Three“, „Two/Three Instrumentals“ (Ghostly International)

Kombinieren, was zusammengehört

Zwischen „A Word of Science“ und „My Definition“ liegen 16 Jahre. 16 Jahre, in denen verwandte Musikgenres mehr denn je getrennt voneinander wahrgenommen werden. „A Word of Science“ war 1990 als Debütalbum von Nightmares On Wax aus Leeds erschienen. Es bestand aus Bleep-House-Tracks mit einem subsonischen Bass-Sound, wie man ihn bis dahin nur im Dub gehört hatte. Neben Four-to-the-Floor gab es auch Breakbeats, die direkt aus dem Hiphop kamen. „Ich identifizierte mich mit den B-Boys und experimentierte mit House-Soundideen“, erinnert sich Evelyn.

„My Definition“ ist ein Mixtape mit Songs aus seinen Lieblingsalben. Es zeigt, wie sein Weg vom Hiphop zum Funk, zu Soul und Disco und wieder zurück zum Hiphop verlaufen ist. Offiziell verabschiedete sich Evelyn vom House und startete N.O.W. 1995 als Downbeat-Projekt neu. Sein Downbeat hat maximale Bewegungsfreiheit, zerdehnte Breakbeats und langsame Melodien, die von mesmerisierenden Bässen abgestützt werden.

Evelyn begreift Hiphop als Tanzmusik. Wenn er auf „My Definition“ einen Track von DAS EFX droppt, wird Hiphop zum House. „Soul ist eine frühe Version von Hiphop.“ Und Nightmares On Wax eine späte Version von Soul.

Nightmares On Wax: „My Definition“ (Apace)