„Ich habe es Al Gore versprochen“

Mit dem Klima-Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ hat der frühere Vizepräsident Al Gore in den USA einen riesigen Publikumserfolg gelandet. Wie kommt’s? Jerome Ringo ist der wichtigste Umweltführer der USA. „Die Leute“, sagt er, „spüren jetzt selbst die Auswirkungen des Klimawandels“

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Mr. Ringo, warum soll man sich „Eine unbequeme Wahrheit“ ansehen, den an diesem Donnerstag in Deutschland anlaufenden Film von Al Gore?

Jerome Ringo: Der Film ist ein Weckruf für die Welt. Er informiert die Welt über die Gefahren von Kohlendioxid für die Atmosphäre und er sagt, dass eine Antwort dringend gegeben werden muss, und zwar weltweit.

Der frühere Vizepräsident Gore sagt, wir haben noch zehn Jahre. Stimmen Sie zu?

Ja, ich stimme zu. Es gibt ein Fenster, das noch etwa zehn Jahre offen ist. Wenn wir da nicht antworten, sind wir am Punkt, wo es kein Zurück mehr gibt. Grönland schmilzt doppelt so schnell, wie wir das erwarteten. Die Eiskappen am Kilimandscharo schmelzen, der Permafrost in Alaska schmilzt, Hurrikane zerstören die Golfküste, und dann sind da die steigenden Benzinpreise. Und die Leichen, die aus dem Irak zurückkommen.

Warum hatte der Film einen so riesigen Zuschauerzuspruch in den USA?

Weil die Leute jetzt die Auswirkungen des Klimawandels selbst spüren. Ich lebe in Lake Charles, Louisiana, dreißig Meilen von der Küste. Meine Familie und ich wurden Ende September letzten Jahres evakuiert, nachdem Hurrikan „Rita“ zugeschlagen hatte.

„Rita“ kam kurz nach „Katrina“ und war der dritte Kategorie-5-Hurrikan eines Jahres.

Es gibt seither ein gewachsenes Bewusstsein dafür, dass etwas schiefläuft. Und das, obwohl die Bush-Administration an Kategorie-5-Leugnen leidet. Wir haben jetzt eben die Reparaturen an unserem Haus fertiggestellt. Wir können nur hoffen, dass nicht wieder so etwas wie „Katrina“ kommt. Aber vermutlich kommt es, weil die Ozeane wärmer geworden sind. Wenn ein Sturm den Golf von Mexiko erreicht, ist das, als schlucke er Steroide – er wird muskulöser und stärker.

Es gibt Leute, die sagen, Gore benutze die Klimakrise, um sich ein drittes Mal als demokratischer Präsidentschaftskandidat zu positionieren.

Ach was. Ich kenne Al Gore persönlich und ich weiß, dass Al ein überzeugter Umweltschützer ist. Al Gore redet über die Gefahren des Klimawandels seit 20 Jahren. Der Unterschied besteht darin, dass die Leute ihm jetzt zuhören Aber Al Gore hat keinerlei politische Ambitionen mit seinem Kampf verbunden, und ich persönlich kann nur sagen: Ich wünschte, er würde antreten.

Vielleicht ist die wahre Frage nicht, ob er will, sondern ob er gebraucht wird?

Absolut. Die derzeitige Administration hat sich um die Umwelt nicht gekümmert, schon gar nicht um die globale Klimaerwärmung, wir sind eins von nur zwei Ländern …

neben Australien …

… das Kioto nicht unterschrieben hat. Das ist ein Fehler. Ich glaube, dass die meisten Amerikaner das anders sehen als der Präsident, viele Staaten und Städte haben die Klimaziele von Kioto inzwischen übernommen.

Sie brauchen trotzdem einen Präsidenten, der den Klimakampf führt.

Ich bin optimistisch, dass wir so einen kriegen. Zum einen kann Bush nicht wiedergewählt werden, zum anderen sind alle möglichen Kandidaten für das Problem sensibilisiert. Ob das bei den Demokraten Al Gore ist, Senator Hillary Clinton oder John Edwards, ober bei den Republikanern Senator John McCain, der Verfasser der McCain-Lieberman-Bill zur Reduzierung von Treibhausgasen.

Haben Sie konkrete Pläne für 2008?

Selbstverständlich. Ich plane, sehr eng mit dem neuen Präsidenten zusammenzuarbeiten, mit dem neuen Kongress, mit dem ich auch jetzt schon eng zusammenarbeite. Ich glaube, dass Amerika zu guter Letzt Kioto unterschreiben wird.

Am Ende des Films sagt Al Gore: Leute, geht und kauft einen Hybrid – wenn ihr euch das leisten könnt. Eine Ansprache an die weiße Mittelklasse.

Stimmt. Es gibt aber Dinge, die jeder tun kann. Das Wichtigste ist: Die gewählten Politiker zur Verantwortung ziehen, die alternative Energien oder Klimaschutz nicht unterstützen. Man braucht zwar Bush nicht mehr abzuwählen, aber jetzt kommen Kongresswahlen. Wichtig ist, dass nun die Richtigen gewählt werden. Aber wenn sich jemand kein Hybrid-Auto leisten kann, kein Problem: Wir verstehen das.

Hier kommen Sie ins Spiel. Sie sollen neue Schichten ansprechen.

Es geht um die Armen und die dunkelhäutigen Menschen. Das sind Leute, die an der Klimaerwärmung am meisten leiden. Wir brauchen eine Koalition der Reichen und Armen, der Schwarzen, Weißen, Braunen und Gelben, der Geschäftsleute, Umweltleute und Gewerkschafter. Wir brauchen eine Koalition, wie Martin Luther King sie geschmiedet hat. Wir müssen seltsame Bettgenossen …

in ein Bett bringen?

Nein. Aber an einen Tisch. Nur so bringen wir eine Bewegung zustande.

Ihr Vorbild ist Martin Luther King, der Führer der Bürgerrechtsbewegung?

Ja, er war der Klebstoff, der die Fäden verband.

Er wurde 1968 in Memphis erschossen.

Er bezahlte den ultimativen Preis. Wenn wir nichts gegen Klimaerwärmung tun, bezahlt die ganze Welt den Preis. Wir haben eine moralische Verpflichtung. Zum anderen wird der Preis viel höher sein, wenn wir nichts tun, als die Investition in den Kampf gegen Klimaerwärmung.

Wie Sie hat auch Gore die Sache zur moralischen Frage erklärt. Eine gute Strategie?

Das ist nicht nur eine Strategie, das ist die Wahrheit. Ich habe vor ein paar Wochen mit verschiedenen Ölunternehmen über Klimaerwärmung geredet. Ich sagte: Gentleman, Sie sind auf den Profit am Ende des Jahres fokussiert, und ich respektiere das. Aber was erzählen Sie zu Hause Ihren Kindern und Enkeln? Die Frage ist nicht mehr, ob wir aktiv werden sollten. Wir müssen.

Mr. Ringo, wie wurden Sie Präsident der National Wildlife Foundation, die ursprünglich aus weißen Sportfischern bestand?

Ich habe 20 Jahre für eine Chemiefirma in Louisiana gearbeitet, die die Umwelt verschmutzte, ich bin seit 20 Jahren in der Umweltbewegung. Und dann bin ich Angehöriger einer Minderheit: Ich bin Afroamerikaner, und zwar seit 51 Jahren. Ich kann also eine vielfältige Perspektive an einen Tisch bringen, und das mit der nötigen Leidenschaft.

Sie selbst angelten auch, aber um den Fisch zu essen.

Ja. Generell waren Arme, Schwarze immer am meisten von Umweltverschmutzung betroffen, aber nicht Teil der Bewegung. Ich hoffe, das wird sich ändern. Als Präsident will ich Teil dieser Veränderungen sein, sodass auch die Umweltbewegung stärker nach Amerika aussieht und nach der Welt, vielfältig, multikulturell, aus allen Rassen und Schichten bestehend. Alle müssen an einen Tisch und sich trotz aller unterschiedlicher Interessen hinter ein Ziel stellen, das größer ist als alles andere.

Die Umwelt ist keine Religion.

Nein, aber ich bin sicher, jede Religion wird das unterstützen. Ich habe jedenfalls noch nie von einer Religion gehört, die sagt: Geht raus und zerstört die Welt.

Der Kapitalismus?

Okay, stimmt. Aber mein Ziel ist es, eine Koalition aufzubauen, die stärker ist, und ich will diesmal der Klebstoff sein, der die Fäden zusammenhält.

Ist Ihre Apollo Alliance aus Wirtschaft, Umweltorganisationen und Gewerkschaften die Verknüpfung von Moral und Kapital?

Es gibt viele ökonomische Möglichkeiten im Zusammenhang mit den neuen Energien und dem Klimaschutz. Das ist eine Win-win-Situation, die Ökonomie, Ökologie und Sicherheit betreffend. Wir geben Milliarden aus, um die Ölfelder im Nahen Osten zu sichern und Krieg zu führen. Das darf nicht sein. Das Geld muss investiert werden in alternative Energien und neue Jobs in Amerika. Es gibt ein Potenzial von 300 Milliarden Dollar an Investitionen und 3 Millionen neue Jobs in zehn Jahren rund um alternative Energien, die CO2 reduzieren.

Wie konkret ist das?

Sehr konkret. Die Apollo Alliance hat US-Unternehmen im Boot wie auch BP, inzwischen einer der größten Produzenten von Solarverkleidungen. Andere werden folgen, weil alternative Energien ein gutes Geschäft sind.

Zeig den Managern, dass man Geld verdienen kann – und sie sind dabei?

Ganz so einfach ist das nicht. Veränderung ist nie leicht. Aber Veränderung ist unausweichlich. Amerika hat 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber jagt 25 Prozent der Treibhausgase in die Atmosphäre. Es muss sich eine Bewusstseinsveränderung in der Bevölkerung vollziehen darüber, wie wir Energie nutzen, wie wir unseren Bedarf kontrollieren, um die Auswirkungen zu verändern, die Amerika auf globale Erwärmung und die ganze Umwelt hat. Es gibt immer mehr Amerikaner, die sagen: Wir wollen nicht mehr nur von fossilen Brennstoffen abhängig sein, wir wollen ein vielfältiges Energie-Portfolio, das muss Wind, Solar und Biotreibstoffe enthalten.

Was halten Sie von Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger?

Gouverneur Schwarzenegger hat unlängst umweltfreundliche Schritte eingeleitet. Ich bin etwas besorgt, dass manche seiner Schritte machtpolitisch motiviert sind, aber es sind Schritte, die gemacht werden. Bei der Gouverneurswahl im November wird auch über Proposition 87 abgestimmt. Das soll die Ölunternehmen zwingen, Gebühren für in Kalifornien gefördertes Öl zu zahlen. Dieses Geld soll in erneuerbare Energien investiert werden. Gouverneur Schwarzenegger hat sich nicht zu dieser Initiative bekannt.

Im Gegensatz zu Schwarzenegger unterstützt sein demokratischer Herausforderer Phil Angelides den Vorschlag.

Ob Schwarzenegger ins Weiße Haus will, ist eine weitere Frage. Er hat das Recht anzutreten. Aber er hat mir nicht genügend Engagement für die Umwelt gezeigt, dass ich denken würde, er wäre der Richtige.

Schwarzenegger ließ in einen seiner Hummer einen Hybridmotor einbauen … Mr. Ringo? Sie haben einen Lachanfall.

Schwarzenegger lebt, wie übrigens einige Kalifornier, ein bisschen in den Wolken. Ich hoffe, er wacht auf und riecht den Kaffee.

Wie umweltfreundlich kann ein Präsidentschaftskandidat sein angesichts der Lobbys und entscheidender Staaten, die zwischen Demokraten und Republikanern hin und her swingend, Staaten wie West Virginia?

West Virginia ist ein Kohlestaat und besorgt, dass alternative Energien der Kohle den Garaus machen. Aber die Kohle bleibt nicht außen vor. Die Bergleute sind Mitglieder der Apollo Alliance. Kohle muss umweltfreundlich und sicher geschürft werden, dann werden auch die guten Leute in West Virginia davon profitieren. Das sieht Al Gore auch so. Wenn das aber nicht geht, wird sie nicht Teil des neuen Energie-Portfolios sein. Es gibt sogar Hoffnung für die Atomenergie – wenn es ihr gelingt, Sicherheit zu gewährleisten und das Problem des Nuklearabfalls zu lösen.

In Deutschland propagiert die Atom-Lobby, dass Atomstrom die Umwelt schütze.

Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, das zu klären, und die der Politiker, das zu entscheiden. Mit fossilen Brennstoffen geht es nicht mehr, das ist klar.

Was ist mit Elektroautos – soll man sie bauen?

Ja, sie sind großartig. Elektroautos und Hybride reduzieren die CO2-Belastung und schaffen Arbeitsplätze, das ist eine Win-win-Situation für die Wirtschaft. Es gibt keinen Grund, warum General Motors keine Hybride bauen sollte. Hätte man das vor zehn Jahren gemacht, statt 50.000 Leute rauszuschmeißen, würde man heute 50.000 Leute einstellen.

Wie Gore sind Sie erstaunlich optimistisch: Alles furchtbar, wir haben noch zehn Jahre, aber das wird schon.

Ich muss optimistisch sein. Das heißt ja nicht, dass es leicht wird. Aber wir gewinnen nicht, wenn wir nicht daran glauben. Pessimismus diktiert Scheitern. Es braucht Zeit, eingeübtes Denken zu verändern. Aber das wird passieren.

Die Leute ändern sich nur, wenn etwas Gutes für sie dabei rausspringt.

Was ist nicht gut daran, die Welt zu retten?

Mr. Ringo, Sie sind Al Gores Freund. Wird er sich um die Präsidentschaft bewerben?

Will Al Präsident werden? Ich darf Ihnen das nicht sagen. Ich habe es Al Gore versprochen.