Einig nur im Trauern

Der russische Präsident Wladimir Putin wurde gestern bei seiner Ankunft zum Petersburger Dialog in Dresden mit „Mörder“-Rufen begrüßt. Vor dem Schloss in der Altstadt erwarteten ihn Demonstranten. Putin und Angela Merkel beschränkten sich bei ihrem dreistündigen Dresdenbesuch auf wenige repräsentative Termine. Das Treffen stand dennoch ganz im Zeichen des Mordes an der kritischen Journalistin Anna Politkowskaja am vergangenen Samstag: Vor dem Tagungszentrum erinnerten Porträts an verschwundene Bürgerrechtler und Journalisten.

Putin selbst nannte Politkowskaja wegen ihrer Berichte über die Tschetschenienpolitik des Kremls eine „scharfe Kritikerin“. Allerdings sei ihr Einfluss in der Heimat „unbedeutend“ gewesen. Er sprach von einer „Gräueltat, die nicht ungestraft bleiben“ könne, was immer das Motiv dafür gewesen sei. Merkel sagte, für Deutschland gehöre Pressefreiheit selbstverständlich zu einer demokratischen Entwicklung.

Die restaurativen Tendenzen in Russland und vor allem der Mord an Politkowskaja haben bewirkt, dass der sechste Jahrgang des Dialogforums inhaltlich klar an Fahrt und Farbe gewonnen hat. Am deutlichsten wurde das in der Arbeitsgruppe Medien: Konsens herrschte noch bei einer Schweigeminute und der Würdigung der Ermordeten. Die russischen Journalisten verbaten sich aber jede belehrende Attitüde der deutschen Seite, wie tags zuvor Michail Gorbatschow, neben dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière einer der beiden Vorsitzenden des Lenkungsausschusses. Fernsehmoderator Maxim Schewtschenko sprach sogar von einer „Kampagne deutscher Zeitungen“ und unterstellte eine Gleichschaltung wie in der sozialistischen Presse. NDR-Kulturchef Thomas Schreiber konterte, ein solcher Verdacht sage mehr über russische Denkgewohnheiten als über deutsche Medien.

Der langjährige Moskaukorrespondent Thomas Roth, jetzt Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Berlin, berichtete von russischen Freunden, die praktisch nicht mehr journalistisch arbeiten könnten. Spürbar blieb bei den überwiegend in den Chefredaktionen angesiedelten russischen Medienvertretern einerseits die Selbstermutigung, andererseits eine deutliche Verunsicherung. Gewarnt wurde vor voreiligen Schlüssen im Fall Politkowskaja.

Erstmals zugelassen waren in diesem Jahr auch Nichtregierungsorganisationen, deren Arbeit in Russland oft schwierig ist: „Ich habe fünf Jahre am Aufbau einer Zivilgesellschaft in Russland mitgearbeitet“, erklärte Gabriele Feyler bitter. Die Sächsin war unter anderem Direktorin des katholischen Caritas-Hilfswerkes der Diözese Moskau und kümmerte sich nach dem Massaker im nordkaukasischen Beslan um die Traumatisierten. Nach der Verschärfung des Gesetzes über die Nichtregierungsorganisationen wurde ihr ohne Angabe von Gründen im Mai die Wiedereinreise verweigert. Der Austausch der Zivilgesellschaften steht aber gerade im Mittelpunkt des jährlichen Petersburger Dialogs, den Putin und Exkanzler Schröder 2001 ins Leben riefen.

Die Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ konnte sich nicht auf ein gemeinsames Papier zu dem Mord einigen. In diplomatischen Formulierungen appellierte sie an die Bürgerrechtler, aber auch an den Staat, den Dialog zu suchen. Dabei könnten „historische Erfahrungen“ der Deutschen hilfreich sein. Alexander Roginski von der „Memorial“-Menschenrechtsgesellschaft nannte Fremdenfeindlichkeit und Rassismus die zentralen russischen Themen.

Die deutschen Moderatoren des Dialogs waren insgesamt bemüht, die russische Seite nicht zu offensichtlich in eine defensive Rolle zu drängen. Schließlich gibt es ja noch die „strategische Partnerschaft“, deren Substanz Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt erfrischend offen formulierte: die Ausbeutung der russischen Rohstoffvorkommen.

MICHAEL BARTSCH