american pie
: Eine wilde Doping-Kultur

Auch wenn der Football vom US-Kongress für sein Anti-Doping-Programm gelobt wird – sauber sind die Spieler noch lange nicht

Wem das Sommertheater um den dopingverdächtigen Rekordschlagmann Barry Bonds den Spaß am US-Nationalsport Baseball verdorben hatte, der kann nun durchatmen. Die Football-Saison hat begonnen, und Football gilt in den USA im Gegensatz zu dem tief in die Balco-Affäre verstrickten Baseballsport als geradezu mustergültig sauber.

Das mag so manch einen erstaunen, der sich auf den Footballfeldern die Verteidiger anschaut, deren Muskelberge alles andere als natürlich anmuten. Trotzdem hatte es der gerade in den Ruhestand getretene Football-Funktionär Paul Tagliabue stets verstanden, seinen Sport als weitgehend dopingfrei zu verkaufen. Selbst der US-Kongress hatte nach Untersuchung der Profiligen im Herbst 2005 ausdrücklich den Football für sein Anti-Doping-Programm gelobt. Trotzdem hat die National Football League (NFL) kurz vor Saisonstart angekündigt, ihre Anti-Doping-Maßnahmen zu verschärfen. Die Zahl der unangemeldeten Kontrollen soll erhöht und die Liste der verbotenen Substanzen ausgeweitet werden. „Wir sind dabei, unser System zu überdenken“, erklärt NFL-Sprecher Harold Henderson.

Die Neubewertung des Systems entspringt allerdings nicht etwa der Einsicht, dass selbst die NFL noch lange nicht genug gegen Doping tut. Sie ist vielmehr die Folge eines wachsenden öffentlichen Drucks. Denn es drangen in den vergangenen Wochen immer mehr Informationen über eine Dopingaffäre an die Öffentlichkeit, die im Trubel um Barry Bonds weitgehend unter den Tisch gefallen war. In South Carolina steht nämlich derzeit Dr. James Shortt vor Gericht. Shortt wird angeklagt, in 43 Fällen illegal Anabolika weitergegeben zu haben. Zu seinen Kunden gehörten nachweislich mindestens drei Spieler des Überraschungs-Superbowl-Finalisten von 2004, der Carolina Panthers. Jeff Mitchell, Todd Steussie und Todd Sauerbrun hatten von Shortt über viele Monate hinweg Rezepte für eine Anabolika-Creme bekommen. Alle drei Männer spielen weiterhin in der NFL und haben wohl keine Sperren zu befürchten. Allerdings fragt sich nun, wie es sein kann, dass sie trotz des angeblich vorbildlichen Testprogramms der NFL über eine solch lange Zeit nicht aufgefallen waren. „Die NFL hat zwar sicher das beste Anti-Doping-Programm in Amerika“, sagt der New Yorker Mediziner Gary Wadler, der die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada berät. „Aber es gibt viele Fragezeichen.“ Das NFL-System mag nach amerikanischen Standards vielleicht vorbildlich sein. Im Vergleich zur Dopingbekämpfungspraxis in Europa mutet es jedoch geradezu lächerlich an. So ist die Liste der verbotenen Substanzen auffallend kurz: Amphetamine kommen darin ebenso wenig vor wie etwa das Wachstumshormon HGH. Die Sperren erscheinen mit vier Spieltagen bei Erst- und zwölf Monaten bei einem Drittvergehen wenig abschreckend. Darüber hinaus gibt es keine Blutkontrollen, und die NFL weigert sich, die Dopingkontrollen an eine unabhängige Instanz wie die Wada abzugeben.

„Ich glaube, dass Amerikaner amerikanische Probleme besser lösen können als irgendwer anders“, sagte Paul Tagliabue nach den Kongressanhörungen im vergangenen Jahr zu dem Vorschlag, mit der Wada zusammenzuarbeiten, und fügte an: „Wir haben nicht den Eindruck, dass es weit verbreiteten Betrug in unserem Sport gibt.“ Der zurückgetretene Spieler Doug Courson hatte allerdings in seiner Aussage vor dem Kongress ein ganz anderes Bild gezeichnet: nämlich eine wilde Kultur des Anabolika- und HGH-Missbrauchs unter den Spielern, die sich insgeheim über die unzureichenden Kontrollen der Liga lustig machen. Dazu passt es, dass der Minnesota-Vikings-Spieler Onterrio Smith bei einer Sicherheitskontrolle am Flughafen mit einem künstlichen Penis aufgefallen war, in den man Fremdurin einfüllen und mittels einer Batterie auf Körpertemperatur erwärmen kann. Das Gerät sei für seinen Cousin, behauptete Smith. Der Cousin wird sich bedankt haben. SEBASTIAN MOLL