Von Gerichts Gnaden

Aufatmen bei „Libération“: Die französische Tageszeitung ist für sechs Monate vor dem Konkurs geschützt. Doch der Streit mit ihrem Hauptaktionär um die publizistische Ausrichtung geht weiter

Aus Paris Dorothea Hahn

„Miserabel“. So beschreiben Libération-MitarbeiterInnen die Stimmung in ihrer Redaktion. Die 1973 von Jean-Paul Sartre und jungen Maoisten gegründete, damals linksradikale, Zeitung steckt wieder einmal in der Krise. Diesmal geht es ums Ganze: um (sehr viel) Geld, um neue Investoren, um die publizistische Ausrichtung und um Massenentlassungen. Das Handelsgericht gönnt dem Blatt derzeit eine Verschnaufpause. Sechs Monate werden die Schulden eingefroren, das Management bekommt einen juristischen Verwalter.

„Wir sind jetzt sicher, dass Libération bei den Präsidentschaftswahlen im Mai noch existieren wird“, sagt François Wenz-Dumas, Redakteur und Personalvertreter. Bei Präsidentschaftswahlen können Zeitungen stets neue LeserInnen gewinnen. An denen mangelt es Libération fatal. In seinen besten Zeiten verkaufte es täglich 180.000 Exemplare, heute sind es nur mehr 130.000. Allein in den ersten Monaten 2005 verlor es mehr als zwei Prozent seiner Auflage und machte pro Monat eine Million Euro Miese. Dazu kommen Verluste in zweistelliger Millionenhöhe aus den vergangenen Jahren. Im Juni drängte der 2005 mit 20 Millionen Euro eingestiegene neue Hauptaktionär, Bankierserbe Edouard de Rothschild, zudem den Gründer und langjährigen Chef, Serge July, aus dem Blatt.

Schon vorher war die Stimmung schlecht. Der rechtsliberale de Rothschild förderte nicht, wie erhofft, neue publizistischen Vorhaben. Heute empfindet ihn die Redaktion als „ausschließlich an der Marke interessiert, die er ins Web bringen will“. Bereits 2005 setzte de Rothschild einen Sozialplan durch, in dessen Folge 56 Beschäftigte freiwillig und gegen Entschädigung gingen. Jetzt machen seine Vertreter im Verwaltungsrat Druck, damit weitere 80 bis 100 Personen das Unternehmen verlassen: Vorher, so die Drohung des Mehrheitsaktionärs, werde es keine neuen Projekte geben. Gegenwärtig hat Libération 280 Beschäftigte.

Vier bekannte SchreiberInnen haben das Blatt bereits verlassen, unter ihnen Florence Aubenas, Exgeisel im Irak. Verantwortlich ist nach Ansicht der zurückgebliebenen KollegInnen de Rothschild. Wenz-Dumas: „Hätte er July nicht herausgeschmissen, wären sie geblieben.“

Am 18. Oktober soll in einer Verwaltungsratssitzung erstmals über Zukunftsmodelle beraten werden. Edwy Plenel, Exchefredakteur von Le Monde, wird eines vorstellen. Viele RedakteurInnen hätten ihn gern als neuen Chefredakteur. Doch der Hauptaktionär will ihn nicht. Er wird ein eigenes Projekt vorstellen, das sich wohl auf eine Stärkung der Online-Ausgabe konzentrieren wird. Die Redakteursgesellschaft, die weiterhin ein Vetorecht hat, wird ein drittes Projekt vorlegen. Es zielt darauf ab, die Web-Site mit „hard news“ zu bestücken und im gedruckten Blatt mehr Reportagen und Recherchen zu bringen.

Doch für den Ausweg aus der Krise ist ein Großinvestor nötig. Tatsächlich haben sich bereits eine italienische und eine belgische Gruppe sowie der deutsche Springer-Konzern interessiert gezeigt. Vorerst warten die potenziellen Investoren aber noch ab. Möglicherweise spekulieren sie darauf, dass der Preis für Libération noch weiter sinkt.