Auf der Jagd nach Karadžić

Wo CIA und Diplomatie versagen, muss Richard Gere ran: Warum der US-Star nicht nur in seinem neuen Film den Kriegsverbrecher aufspüren will – und wie ihm die taz dabei half

AUS SARAJEVOERICH RATHFELDER

„Was, du triffst Richard Gere, wow?“ Ob Redakteurinnen, Freundinnen oder Bekannte, die Frauen ab vierzig sind aus dem Häuschen. Ich soll ihre besten Grüße überbringen. Die Nachricht, der Hollywood-Star übernähme die Hauptrolle in dem Film „Spring back in Bosnia“ ist natürlich auch in Sarajevo Stadtgespräch.

Die Filmer Bosniens sind zwar selbst sehr erfolgreich im Filmgeschäft. Der Gewinn des Goldenen Bären für den Film „Grbavica“ ist nur einer der Preise, die RegisseurInnen aus Bosnien bei den Festivals der letzten Jahren weltweit einheimsen konnten. Einen Weltstar und Frauenschwarm wie Richard Gere aber für einige Wochen in der Stadt zu haben, das ist dennoch etwas ganz Besonderes.

Über den Film selbst will Richard Gere bei den folgenden Pressekonferenzen zunächst nicht viel sagen. Nur, dass er sich freue, in dieser Stadt zu drehen, die ihn mit seinen Moscheen, Synagogen und Kirchen an Jerusalem erinnere. Die Bosnier seien sehr freundlich, am ersten Abend nach seiner Ankunft am 12. September sei er in einem Sufi-Kloster gewesen und herzlich aufgenommen worden. Der Vergötterte entpuppt sich auch in den folgenden Wochen als ein eher zurückhaltender und freundlicher Mensch. Allein sitzt er in den Drehpausen auf einem Klappstuhl und genießt den Blick auf das Panorama der Altstadt und der umliegenden Berge. Und im Hotel lebt er wie all die anderen Mitarbeiter des Films bescheiden in einem normalen Zimmer, zeigt sich in einem einfachen T-Shirt und Bluejeans und nimmt mit den anderen zusammen die Mahlzeiten ein.

57 Jahre ist er nun alt. Und ist offenbar stolz auf seine Falten. Unter das Messer der Schönheitschirurgen ist er jedenfalls nicht gegangen. Neben ihm haben es sich Jesse Eisenberg, ein 23-jähriger New Yorker, und Terrence Howard, der aus Cleveland stammende 37-jährige aufgehende Stern in Hollywood, bequem gemacht.

Sie nippen an dem Bier und warten an diesem verregneten Tag auf besseres Wetter. Denn ein Teil der Dreharbeiten spielt in der Echtkulisse Sarajevo. Und so ist es ihnen gerade recht, dass wir zwei journalistische Balkanveteranen, der belgische Journalist Philippe Deprez und ich, den Lunch mit ihnen teilen.

Denn die drei spielen ja selbst Journalisten, die den vom UN-Kriegsverbrechertribunal gesuchten und im Untergrund lebenden ehemaligen Serbenführer Radovan Karadžić aufspüren wollen. Im Film heißt der Gesuchte zwar nicht Karadžić, sondern „The Fox“, aber die Geschichte hat einen wahren Hintergrund. Und die wiederum hat mit den echten Journalisten zu tun. Und so wollen die drei natürlich wissen, wie die Story damals wirklich abgelaufen ist.

Und die ging so: Ein paar Jahre nach dem Krieg versuchten mehrere Reporter, den Gesuchten in den unwegsamen Gebieten nahe der Grenze zu Montenegro zu finden. Bei einem der Trips gaben sie sich als CIA-Agenten aus, trafen auf einen russischen Spion, der für Informationen über Karadžić 100.000 Dollar verlangte, die natürlich nicht aufzubringen waren. Bei weiteren Verhandlungen in Sarajevo saßen plötzlich wirkliche CIA-Agenten am Nebentisch. Und warnten die Reporter, in Zukunft nie mehr unter falschem Label aufzutreten.

Die ebenfalls beteiligten Amerikaner Sebastian Junger und John Falk veröffentlichten die Story in den USA. Die Frage, warum die CIA über die Aktivitäten der Journalisten Bescheid wusste, nicht aber über den Aufenthaltsort von Karadžić, beflügelte auch einige Leute in Hollywood. Und so bekam Sebastian Junger von Warner Brothers den Auftrag, ein Drehbuch über die Geschichte zu schreiben.

Das Skript wechselte die Produktionsfirma, schließlich sollte es umgeschrieben werden. So tauchte letztes Jahr der Regisseur Richard Shepard in Sarajevo auf. Philippe Deprez und ich fuhren mit ihm gemeinsam durch das Land und zeigten ihm die Region an der Grenze zu Montenegro. Er sei Experte für Kriegsverbrechen, witzelte er damals, mit seiner armenischen und jüdischen Herkunft kenne die großen Verbrechen des letzten Jahrhunderts aus der eigenen Familie. Shepard schrieb dann ein neues Skript, den Politthriller, und heuerte die Stars an, die jetzt hier am Tisch sitzen.

Vor allem Richard Gere will wissen, wie es für Journalisten war, im belagerten Sarajevo im Hagel der Granaten zu arbeiten. Oder wie man im Schnee und Eis Frontlinien durchfahren konnte. Ob die Nato nach dem Krieg wirklich zögerte, die Kriegsverbrecher festzunehmen. „Ich habe damals während des Krieges vieles über Bosnien gelesen, über die Konzentrationslager, die Vertreibungen und Vergewaltigungen“, sagt er. „Aber richtig vorstellen konnte ich es mir nicht.“ Am Vormittag sei er bei den serbischen Artilleriestellungen gewesen, von wo aus die Stadt dreieinhalb Jahre beschossen wurde. „Wie konnten es die Menschen in dieser Stadt so lange Zeit ohne Strom, Wasser und Heizung aushalten?“, fragt er in die Runde.

Er will die Stimmung des Krieges spüren, fragt nach den politischen Ursachen, nach dem Charakter Karadžić’. Und ist überrascht über die Information, dass Karadžić vor dem Krieg ein eher umgänglicher und liberaler Mann gewesen war, sogar die Grüne Partei Bosniens mit gegründet hat, bis er ins nationalistische Lager wechselte. Wie konnte so ein Mann zu solchen Taten fähig werden? Das Drehbuch gebe darauf zwar keine Antwort, sei aber trotzdem sehr gut, stellt er schließlich fest. „Wichtig ist doch, dass wir heute erneut vor einem breiten Publikum die Frage stellen, warum jene, die für all die Verbrechen im damaligen Krieg verantwortlich sind, immer noch in Freiheit sind.“

Richard Gere offenbart sich als ein höchst politischer Mensch. Und als echter Amerikaner möchte er den Stier bei den Hörnern packen. „Wie kann ich mit Karadžić selbst sprechen? Könnt ihr das für mich organisieren?“ Natürlich geht das nicht. Doch es bleibt die Idee, über eine öffentliches Statement auf eine Reaktion seitens des Gesuchten zu warten. Mit Hilfe des Chefredakteurs der Wochenzeitung Slobodna Bosna gelingt dies auch. Senad Avdić schreibt einen Artikel über den Wunsch des Stars, Karadžić zu treffen. Richard Gere will den Kriegsverbrecher überreden, sich zu stellen. Ist das naiv? Überheblich? Oder geht es einfach darum, mit der eigenen Popularität zu versuchen, etwas Positives zu bewirken?

Hunderte von Menschen umlagern täglich die Drehorte, Dutzende von Komparsen besetzen die Tische im Hotel Holiday Inn. Dann ist es endlich so weit. Die Stars, die Journalisten spielen, sollen im Film die echten Journalisten treffen. So will es Richard Shepard, der Regisseur. Mit einem Augenzwinkern gibt er den Reportern die Gelegenheit, in einem Hollywood-Film mitzuspielen.

„Und wenn es nur 30 Sekunden sind“, sagt der Holländer Harald Dornbos, inzwischen heimisch in Beirut, „nervös bin ich doch.“ Auch John Falk tritt von einem Bein auf das andere. Wir sollen etwas verschwitzt an der Bar stehen, dabei Zigaretten rauchen und uns, wie unter Journalisten in Krisenregionen üblich, laut unterhalten, lachen, (alkoholfreies) Bier trinken. Dann soll Terrence Howard mit Jesse Eisenberg hereinkommen, ein direkt aus Harvard eingeflogenes journalistisches Greenhorn. Sie entdecken die Kollegen an der Theke, es gibt ein Hallo und Witze über den Newcomer, der nix kapiert, nicht einmal den Namen des Kriegsverbrechers kennt. Und schließlich stimmen alle überein, dass „The Fox“, der so viel Unheil angerichtet hat, verhaftet werden muss. Die Szene wird endlos oft wiederholt. Mit immer wieder neuen Kameraeinstellungen. Inzwischen sind 10 Biere nachgeschenkt und für jede Wiederholung müssen neue Zigaretten angezündet werden. Richard Shepard fordert immer wieder auf, die Spannung zu halten, nicht nachzulassen, die inzwischen eingeübten Bewegungen zu wiederholen. Schließlich, nach acht Stunden, um vier Uhr morgens, werden Sandwiches ausgeteilt. Und dann wird wieder nachgebessert. Um fünf Uhr endlich ist die Szene endgültig im Kasten. Und Shepard ist zufrieden.

Das Casino von Sarajevo ist um diese Zeit noch offen. Terrence Howard erzählt von seiner Jugend in dem Schwarzenviertel von Cleveland, als er als Kind Zeuge wurde, wie sein Vater einen Einbrecher erschoss. Wie er wegen Störung des Schulunterrichts aus der Klasse verwiesen wurde und zufällig in eine Talentshow geriet. Er hat sie damals gewonnen. Und wurde so zum Schauspieler. Der verwirklichte amerikanische Traum also. Das Ende der Drehtage in Sarajevo ist gekommen. Die nächsten Szenen werden in der Region um Zagreb in Kroatien gedreht. Und es bleibt die Erkenntnis, dass die Schauspielerei ein ziemlich harter Job ist. Immerhin werden die echten Schauspieler gut bezahlt. Die echten Journalisten dagegen müssen sich mit 100 Euro Honorar begnügen. Immerhin habe ich alle Grüße ausrichten können.