Starker Abend

Das Düsseldorfer Spaßtheater erhält endlich einen politischen Akzent: Sebastian Baumgarten inszeniert Jean Paul Sartres „Schmutzige Hände“

von REGINA MÜLLER

Eigentlich ein zeitloses Thema der Linken: Realos gegen Fundis. Jean-Paul Sartre machte mit „Die schmutzigen Hände“ ein Theaterstück aus der klassischen Konfrontation und landete damit im Westeuropa des Kalten Krieges einen veritablen Theatererfolg. Die 1948 uraufgeführte Bilderfolge ist ein ausufernder, geschwätziger Text, der sich heute eher mühsam liest und nach strohtrockenem Thesentheater riecht.

Doch in letzter Zeit findet Sartres Diskurs über scheiternde Utopien wieder Interessenten am Theater; an der Berliner Volksbühne verlegte Frank Castorf vor einiger Zeit die Handlung nach Bosnien und in ein Feuchtbiotop.

In Düsseldorf ist nun der jüngst von der Zeitschrift Opernwelt zum „Regisseur des Jahres“ gekürte Sebastian Baumgarten angetreten, der bislang überwiegend sich im Spaßtheater ergehenden Ära der neuen Intendantin Amélie Niermeyer endlich einen politischen Akzent zu verleihen.

Auf den aus solider ostdeutscher Theatertradition stammenden Regisseur, der selbst in konservativen Kreisen als Hoffnungsträger des Musiktheaters gilt, ist Verlass: Düsseldorf kriegt sein politisches Theater, wenn auch einstweilen nur im kleinen Haus. Baumgarten macht aus Sartres fiktivem Balkanstaat „Illyrien“ ein nicht näher lokalisiertes Bürgerkriegsszenario zwischen Nahem Osten und Moskau und weitet die Kampfzone mittels aktueller Theorien ins Globale aus. Texte von Giorgio Agamben und Slavoj Žižek werden in Brecht’scher Belehrungstechnik verlesen, die hart skandierten Abhandlungen über globalen Bürgerkrieg und Verslumung schmiegen sich scheinbar geschmeidig an Sartres Endzeitszenario an.

Der „Familienstreit unter Linksextremisten“ – wie es nach der Pariser Uraufführung in der Kritik hieß – wird bei Baumgarten zum Zwist der Unterprivilegierten, der Bewohner Megalopolis, der Unbehausten. Der Stoff wird damit sehr aktuell, präsent und doch wieder ein bisschen bequem. Der Horror vor dem globalen Grollen ist leicht zu erzeugen, bildet er doch längst das mediale Hintergrundrauschen an sich.

Doch selbst wenn der von Baumgarten ins Globale geweitete Ansatz vielleicht wohlfeil ist und die Garnitur mit aktueller Theorie beliebig scheinen mag: Er trifft den Nerv.

Virtuos hantiert der Regisseur mit allen Mitteln: auf einer Videoleinwand flimmern abwechselnd Hollywood-Schnipsel, Kriegsdokumentationen, dann wieder Schwenks zu den Schauspielern. Die Tonspur verwendet zwischen Bach und quälendem Sinuston so ziemlich alles, was suggestiv für Stimmung sorgt.

Eminent musikalisch ist aber vor allem Baumgartens Timing. Sprechchöre, Dialoge, Monologe kommen mal oratorisch streng, dann rezitativisch locker wie in einer Buffo-Oper daher, selbst geschriene Ausbrüche haben einen irgendwie einschmeichelnden Sound.

Den guten alten Verfremdungseffekt dekliniert Baumgarten in allen erdenklichen Varianten durch und erzielt dadurch anfangs manch komischen Moment. Mit der Zeit verspielt er sich allerdings ein bisschen sehr mit seinen Spielzeugen und Pappkisten, die Häuser, Badewannen, Autos und Waschmaschinen sein sollen.

Grandios aber sind die Schauspieler: Hans-Jochen Wagner „Hugo“, der als antriebsgehemmter Idealist nervt, ohne dass man ihn aufgeben möchte; Götz Schultes furioser Realo „Hoederer“, der auf gefährliche Weise sympathisch wird und ohnehin eine Menge Sexappeal verströmt, die verhärmte Nervensäge „Olga“ der Cathleen Baumann und die verstörend kindliche, Lolita-erotische Nadine Geyersbach als „Jessica“, die zumindest den Vorwand liefert, das Politische sei irgendwie doch privat. Die Frage, ob Hoederer Opfer eines politischen Mords oder Hugos Eifersucht zum Opfer fällt, lässt Baumgarten so offen wie Sartre. Fazit: ein starker Abend, etwas wirr, aber wohl gerade deshalb treffend.