Die Counterspinner

Die Medien-Watchdog-Organisation FAIR versteht sich seit 20 Jahren als Vorkämpfer der Antizensur in den USA. Und ist heute wichtiger denn je

Aus New YorkAdrienne Woltersdorf

Ihr Büro ist die New Yorker Variante eines Berliner Hinterhofkollektivs: klappriger Fahrstuhl, kaum Tageslicht, staubig-graues Büro. Und stapelweise Videokassetten und Zeitungen, zwischen denen junge Männer und Frauen hocken, die lieber Birkenstock statt der in den USA üblichen Büro-Highheels tragen. Hier werden Adjektive und Studiogäste gezählt, werden Themenkarrieren verfolgt und selbst Nachrichten produziert. Hier beobachtet FAIR die Medien der Vereinigten Staaten. Die Abkürzung steht für „Fairness & Accuracy in Reporting“, Fairness und Genauigkeit bei der Berichterstattung. Der Name ist längst Markenzeichen einer der wichtigsten Medien-Watchdog-Organisationen Nordamerikas geworden. Am Donnerstag feierte sie mit einer Benefiz-Party in New York ihr 20-jähriges Bestehen.

Abenteuer Privatsender

Mit dabei ist immer noch Jeff Cohen, Mitbegründer von FAIR und Autor des gerade erschienenen Buchs: „Vertraulichkeiten aus dem Kabelfernsehen: Meine Abenteuer in der Welt der privaten Medien“, in dem er seine Erfahrungen als linker Journalist in den Redaktionen einiger US-Privatsender schildert. Getreu dem seit 1986 geltenden Gründungsauftrag versteht sich FAIR auch heute noch als Antizensur-Institution, die es sich zur Aufgabe macht, den ersten Zusatz der US-Verfassung mit Leben zu füllen. „Mit fundierter Kritik machen wir die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, wenn öffentliches Interesse, Minderheiten und anders lautende Meinungen in den Medien marginalisiert werden“, sagt einer der jungen Mitarbeiter, Peter Hart. Hart, schon seit 1997 dabei, hat es heute eilig, denn er muss gleich auf Sendung: „Counterspin“ ist eine halbstündige Medienkritik, die landesweit von rund 135 Sendern ausgestrahlt wird. Hart spricht über unbewusst oder wissentlich ignorierte Themen – und über das Innenleben und die geschäftlichen Interessen der Medienhäuser. Dass FAIR sich als linker Watchdog versteht, daraus machen die New Yorker kein Geheimnis: Am liebsten würden sie die immer mächtiger werdenden Medienkonglomerate aufbrechen, unabhängige öffentliche Sender im ganzen Land etablieren und die Informationsbeschaffung von Non-Profit-Organisationen übertragen.

Kritiker ignorieren sie. Oder beschimpfen sie als „Lefties“, was in den USA oft schon ausreicht, um im Establishment erledigt zu sein. Doch eine kleine Gruppe von demokratischen Sponsoren und Aktivisten sorgt seit Jahren dafür, dass FAIR finanziell gerade so über die Runden kommt.

Akribische Studien

Dass die engagierten und dabei keinesfalls neutralen BeobachterInnen dabei auch nicht vor den eigenen heiligen Kühen zurückschrecken, zeigt ihre neueste Studie: Das öffentliche Fernsehen der USA, die Sender der Gruppe Public Broadcasting System PBS, seien kein Deut besser als die Mainstream-Privatmedien. Die Ende September veröffentlichte Untersuchung kritisierte vor allem das PBS-Aushängeschild „Newshour“ mit Starmoderator Jim Lehrer. Eine Show, die sich selbst „das Mutterschiff der Ausgewogenheit“ nennt.

FAIR-Mitarbeitende studierten ab Oktober 2005 bis März 2006 die Gästeliste der Sendung. Und kamen zu dem Schluss, dass doppelt so viele Republikaner eingeladen und interviewt wurden wie Demokraten. Nur ein einziger Vertreter einer anderen als der beiden großen Parteien war Studiogast. Außerdem machten Schwarze, Asiaten und Latinos nur 15 Prozent der zitierten Nachrichtenquellen aus, wobei diese Nachrichten ohnehin zum größten Teil von Condoleezza Rice und dem mexikanischstämmigen Justizminister Alberto Gonzales handelten. Und natürlich wurden viermal mehr Männer als Frauen zitiert. „Schlimmer noch“, sagt Hart, „zu einer Zeit, als es bereits deutliche Kritik am Irakkrieg gab, gewährte PBS Irak-Kriegsbefürwortern insgesamt fünfmal mehr Sendezeit als den Kritikern.“

Es sind solche unwiderlegbaren Statistiken und mühsam zusammengetragenen Studien, die das kleine FAIR-Büro zu einer der wichtigsten Fundgruben für US- Medienkritik gemacht haben. Barbara Ehrenreich, Grande Dame des investigativ-gesellschaftskritischen US-Journalismus und Ehrenrednerin bei der Jubiläumsparty , nennt FAIR daher eines der „wichtigsten demokratischen Projekte der USA“.