Strafanzeige gegen Charité

„Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht dazu“, sagt der Anwalt Wolfgang Putz. Er hat gegen die Charité Strafanzeige erstattet, weil sie die Patientenverfügung einer Schwerstkranken ignorierte

von WALTRAUD SCHWAB

Der Humanistische Verband Deutschlands hat am 11. Oktober den Rechtsanwalt Wolfgang Putz beauftragt, Strafanzeige gegen die Charité bei der Berliner Staatsanwaltschaft zu erstatten. Der Vorwurf: Eine 86-jährige Schwerstkranke, die nicht mehr bei Bewusstsein war, wurde gegen ihren Willen mit intensivmedizinischen Maßnahmen künstlich über sechs Wochen am Leben erhalten.

Das Gericht muss nun prüfen, ob das Vorgehen der Charité eine vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung darstellt. Die Charité selbst könne sich nach Auskunft der Pressesprecherin nicht zu dem Vorgang äußern, da der Schriftsatz der Staatsanwaltschaft bisher nicht eingegangen sei.

Die herzkranke Berlinerin hatte Darmkrebs im Endstadium und Intensivmaßnahmen zur weiteren Behandlung desselben zuletzt abgelehnt. Am 23. Dezember 2005 wurde sie wegen eines Oberschenkelhalsbruches in die Charité eingeliefert. Eigentlich sollte sie Anfang des Jahres wieder nach Hause entlassen werden. Kurz davor aber kam es zum vollständigen körperlichen Zusammenbruch. Sie fiel ins Koma. Mit künstlicher Ernährung und Beatmung und weiteren technisch-medizinischen Mitteln wurden ihre Lebensfunktionen aufrechterhalten.

Die bevollmächtigte Verwandte mahnte mit Hinweis auf die Patientenverfügung der Frau an, dass die Beatmung beendet werden solle. Ihr sei entgegnet worden, dies sei „Euthanasie“ und „in Deutschland verboten“. Daraufhin leitete der Humanistische Verband Maßnahmen ein, um die Patientin mit intensiver Pflegebegleitung nach Hause zum Sterben zu entlassen. Dies entsprach ihrem Wunsch.

Doch kurz bevor alles für die Betreuung in ihrer Wohnung vorbereitet war, wurde die komatöse Patientin am 27. Februar 2006 von der Charité – angeblich ohne Rücksprache mit den Bevollmächtigten – in ein Pflegeheim nach Lichterfelde gebracht. Dort wurden nach Auskunft des Rechtsanwalts Wolfgang Putz erhebliche Pflegemängel festgestellt. Die Patientin hatte sich an mehreren Körperstellen wund gelegen. Erst im Pflegeheim wurde ihr Sterben zugelassen.

Seit 1994 ist die Rechtsprechung zur Sterbehilfe eindeutig: In Deutschland ist per Gesetz die passive und indirekte Sterbehilfe möglich. Darunter fällt der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Beatmung, künstliche Ernährung, aber auch die Gabe von Medikamenten zur Linderung von Beschwerden, die als Nebenwirkung die Lebensdauer verkürzen. Hohe Morphiumgaben zur Schmerzlinderung im Endstadium von Krebs etwa fallen in diese Kategorie. Auf der Grundlage der Rechtsprechung „ist der Arzt verpflichtet, innerhalb des Patientenwillens zu handeln“, sagt der Rechtsanwalt Putz.

In einem Urteil vom 26. 10. 2004 wurde das Patientenrecht am Landgericht Berlin wie folgt auch bestätigt: „Die Autonomie eines Patienten ist dessen höchstes Rechtsgut und steht noch über dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Wenn ein Patient in eine Behandlung nicht einwilligt, sei deren Unterlassen keine verbotene aktive Sterbehilfe und schon gar kein Mord. Jede Heilbehandlung gegen den Willen des Patienten sei ein rechtswidriger Eingriff in dessen körperliche Integrität.

Gita Neumann vom Humanistischen Verband ist es wichtig, zu betonen, dass Sterbenlassen nichts mit „den Knopf abschalten“ zu tun habe. Ein Beatmungsgerät etwa werde ganz langsam zurückgefahren. Dadurch würden die Patienten müde und schliefen ein. Oberste Prämisse aber sei der Wille des Kranken. Patientenverfügungen können auch beinhalten, dass im Koma keine Geräte abgeschaltet werden sollen.

Vor kurzem war die Charité in den Schlagzeilen, weil eine Krankenschwester zwei Schwerstkranke getötet haben soll. Die jetzige Strafanzeige gegen die Charité, die zu Beginn der derzeit stattfindenden Hospizwoche öffentlich gemacht wurde, kontrastiert – nicht unbeabsichtigt – diesen Vorfall.