ausgehen und rumstehen
: Von einem stumpfen deutschen Film wird man selbst ganz stumpf

Donnerstag war der erste richtig trübe Tag in diesem Herbst und so dachte ich, man könnte doch an einem trüben Tag auch einen stumpfen Film anschauen und an den letzten Sommer denken. Gut gelaunt trollte unsere Clique gegen 23 Uhr im Nebel über den Alexanderplatz, vorbei an der Szenekneipe „Besenkammer“ und ab ins Cubix Kino. Der Film begann, und zuerst konnte man die langweiligen Bilder gut auf sich wirken lassen und seinen Sommererinnerungen nachgehen.

Zum Beispiel wie ich mir schon vor dem Eröffnungsspiel beim Balkon-zur-WM-Party-Aufräumen einen Hexenschuss zugezogen hatte und dann beim Spiel gegen Costa Rica mit einer Mischung von sehr sehr starken Schmerztabletten und einer sehr sehr starken Erdbeerbowle ganz außergewöhnliche Rauscherlebnisse machen konnte. In der Euphorie des Abends lief ich in 45-Grad-Rückenschonhaltung tatsächlich bis zum Treptower Park und kam trotz der Kreuzschmerzen besser vorwärts als meine rückengesunden Freundinnen mit unpassendem Schuhwerk. Irgendwann mussten wir noch an der Aral-Tankstelle rasten, wie fußkranke Wegelagerer, und die Mixgetränke aus der Dose (Rumcola) erinnerten uns an unsere Jugend. Ach, es war doch schön!

Auf der Leinwand im Cubix ließen uns mittlerweile die großen Denker Schweini und Poldi an ihren philosophischen Gesprächen im Liegen teilhaben. Das war aber überhaupt schon der Höhepunkt von „Deutschland. Ein Sommermärchen“. Wie einem nach schönen Filmen ein Gefühl der Gehobenheit ummantelt, so wird man von so einem stumpfen deutschen Film selbst ganz stumpf.

Man sollte nach so einem Erlebnis nicht gleich nach Hause gehen, sondern versuchen, durch Gespräche das Gesehene wenigstens zu verdrängen. Aber es war fast zwei Uhr, und tatsächlich mussten einige der Ausgehgruppe am nächsten Tag aufstehen. Ich rief noch ein neckisches „Ich hab ja morgen auch schon um zwölf eine Frühstücksverabredung!“ hinterher, aber der Übermut sollte sich rächen.

Im Bett angekommen, fand ich keinen Schlaf. Poldi und Schweini, die Spaßbremsen Ballack und Kahn, laolaendes Militär und Polizei und ein kleinwüchsiger alter Masseur mit grauer Dauerwelle tanzten einen teuflischen Reigen in meinem Kopf, und immer wieder sang Xavier Naidoo salbungsvoll dazu: „Dieser Weg ist so steinig und schwer“. Es war schrecklich. Völlig zerschlagen erwachte ich erst gegen zwölf, erholte mich nur langsam von diesem Albtraum, war dann am Abend aber wieder ausgehbereit. Im Bastard sollten Attwenger auftreten.

Die Berliner haben ja nie so richtig die Großartigkeit dieser Band entdeckt, weil der Urberliner wie der Zugezogene, selbst mit sehr unschönen Dialekten behaftet, alle anderen Mundarten für primitiv hält. Aber an diesem Abend war alles anders. Nach der talentierten Rockaufgeregtheit der jungen Vorband RichandKool kamen die wahrhaft abgehangenen Attwenger, gezeichnet von einer etwa 16-stündigen Fahrt Wien–Berlin, quasi aus dem Tourbus auf die Bühne und es war großartig.

Bei Attwenger kann man, wenn man den österreichischen Dialekt nicht versteht, einfach alles als englisch interpretieren: Aus „Dog“ wird „Hund“ statt „Tag“, „Song“ meint dann „Lied“ statt „sagen“ usw. Akkordeon und Schlagzeug delirierten sich ins Transzendentale, dann krachten wieder die Volksmelodien dazwischen: Nur der Österreicher versteht es halt, der Volkskunst das Rechte, Reaktionäre immer wieder ordentlich auszutreiben.

Aus lauter Begeisterung blieb man dann noch sehr lange in der 8mm Bar, bis von innen abgeschlossen wurde. So ist es, wenn man nicht mehr 34 ist: Von den kleinsten Ausschweifungen muss man sich zwei Tage lang erholen. Deswegen endete das Wochenende dann auch schon am Samstagmorgen.

CHRISTIANE RÖSINGER