Das Herz von St. Pauli

Sein Leben lang kämpfte er für Gerechtigkeit: Holger Hanisch war treibende Kraft des Obdachlosen-Cafés im ehemaligen Hafenkrankenhaus. Mietervertreter und Schwulen-Aktivist. Ein Nachruf

VON GERNOT KNÖDLER

Ohne sein Engagement würde es das „CaFée mit Herz“ nicht geben. Holger Hanisch war die zentrale Figur der Obdachlosen-Tagesstätte im ehemaligen Hafenkrankenhaus: Motor, Organisator, Spendensammler, PR-Fachmann und Lobbyist. Am Montag ist er 56-jährig gestorben.

Holger Hanisch, wie ihn diejenigen kannten, die in St. Pauli ausgehen, war der Mann mit der Sammelbüchse. Hager und grauhaarig, eine Ledermütze auf dem Kopf, tourte er für das Café durch die Bars und Kneipen. Nicht aufdringlich, aber mit großem Ernst forderte er Hilfe für Arme, Obdachlose und Einsame.

Schon als Kind hat Hanisch gelernt, wie bitter das Leben sein kann: Nach dem Tod seines Vaters gab ihn seine Mutter als Zweijährigen in ein Heim. Sein Stiefvater ließ ihn zurückholen. Doch die Familie war arm. Der kriegsversehrte Stiefvater sammelte auf den Wochenmärkten weggeworfenes Obst und Gemüse. Vater, Mutter und fünf Kinder hausten in einer 60-Quadratmeter-Wohnung im Karoviertel. Der Junge schleppte bereits mit zwölf Jahren Bananenkisten.

Mit 17 Jahren zog Holger in ein Jugendwohnheim. Eine Gärtnerlehre brach er ab, um bei der Diakonie Pflegehelfer zu werden. Doch die christliche Einrichtung enttäuschte ihn. Die Art, wie die Alten behandelt wurden und dass man keine Zeit hatte, sich um sie zu kümmern, offenbarte für ihn einen inakzeptablen Widerspruch zwischen Wort und Tat.

Er wurde Telegrammbote der Post und wechselte schließlich zu Philips, wo er 20 Jahre lang im Betriebsrat mitarbeitete. 1996 legte er sein Mandat zusammen mit sechs Kollegen nieder. „Das, was wir vorher erreicht hatten an Zugeständnissen, sollte alles zunichte gemacht werden“, erinnerte er sich einmal im Gespräch der taz. „Wir hätten uns nicht mehr im Spiegel ansehen können.“ Hanisch kündigte. Er war frei für das CaFée mit Herz.

Eigentlich hatte er mit seiner Abfindung ein Café für Bedürftige in der Hafenstraße eröffnen wollen. Da kam die Schließung des Hafenkrankenhauses dazwischen. Hanisch half, die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ zu gründen, die das Krankenhaus erhalten wollte und erreichte, dass dort ein Sozial- und Gesundheitszentrum entstand.

Nachdem im Herbst 1998 ein Obdachloser erfroren war, eröffnete er sein Café in der ehemaligen Station D. Gegen alle Widerstände erkämpften er und seine Mitstreiter der Tagesstätte einen festen Platz. Weder plötzliche Mieterhöhungen, noch der Unwille der Bezirksversammlung Mitte konnten sie stoppen.

Es zeigte sich, dass sich Hanisch mit seinem Kampf für die Gerechtigkeit nicht nur Freunde machte. Manch einem Politiker oder Funktionär ging er mit Hilfe der Öffentlichkeit auf die Nerven. Kein Senat hat es gern, wenn ihm jeden Herbst mit einem Bettlermarsch aufs Butterbrot geschmiert wird, was sozialpolitisch im Argen liegt.

Denn Hanisch verband das karitative mit dem politischen Engagement. Ende der 70er Jahre gründete er eine Mieter-Initiative. Um mehr bewegen zu können, trat er der DKP bei. Damals tingelte er mit der Parteizeitung wie später mit der Sammelbüchse. Hanisch gründete die Demokratische Schwulen-Initiative, um die DKP von ihrem schwulenfeindlichen Kurs abzubringen. 1998 half er, die Kurverwaltung St. Pauli ins Leben zu rufen, die gegen eine Spende Rabatte bei Kiez-Einrichtungen gewährt.

Sein CaFée mit Herz wird bleiben. „Wir hatten eine lange Zeit, uns darauf vorzubereiten, wie es weitergeht“, sagt die jetzige Geschäftsführerin Margot Wolf. Schon seit Anfang des Jahres habe Holger Hanisch nur noch ab und zu im Café helfen können. Am Montag sei er im Hospiz Leuchtfeuer „ganz friedlich“ gestorben. „Wir machen in seinem Sinne weiter“, verspricht Wolf.

Trauerfeier am Freitag um 17 Uhr in der St. Pauli-Kirche am Pinnasberg. Ab 16 Uhr stiller Abschied, ab 18 Uhr Umtrunk im Silbersack. Statt Blumen bitte Spenden ans CaFée mit Herz, Haspa-Konto 1206134304, BLZ 20050550.