Russland-Kritik zum finnischen Abendessen

Heute nimmt Wladimir Putin am EU-Gipfel in Lahti teil. Dabei sollen klare Worte zu Georgien und Energiepolitik fallen

MOSKAU taz ■ In Europa sei es wieder Mode geworden, Russland richtig zu fürchten, meint die Iswestija am Vorabend des EU-Gipfels im finnischen Lahti. Die Zeitung gehört Gazprom, und der Gasgigant ist Russlands neues Schaltzentrum der Außenpolitik. Schon in der letzten Woche reagierte Moskau pikiert: Zu Besuch in Deutschland hatte Kremlchef Wladimir Putin ein begehrtes Gas(t)geschenk im Tornister. Energie von „Schtokman Feld“ in der Barentssee, die vorher den USA versprochen war, bot er nun Deutschland an. Doch Berlin ließ sich nicht ködern. Es hätte ohnehin Uneinigkeit und Zwietracht in der EU nur noch vertieft. Darauf zielte das russische Kalkül wohl auch ab.

Stattdessen legten Paris und Berlin eine Vereinbarung vor, in der die EU zu einer ausbalancierten Energiepolitik mit Moskau angehalten wird. „Frankreich und Deutschland wollen Russland nicht am Ruder der europäischen Energiesicherheit sehen“, schließt die Iswestija.

Der Umgangston wird in der Tat schärfer. In Lahti könnten die EU-Regierungschefs mit ihrem Abendessen-Gast Putin erstmals ein bisschen Klartext reden. Im Konflikt mit dem südkaukasischen Nachbarn „wollen wir Russland und Georgien drängen, die Rhetorik herunterzufahren und Verhandlungen zu beginnen“, ließ die finnische EU-Ratspräsidentschaft verlauten. Überdies wolle man darauf achten, dass Russland Blockade und Sanktionen gegenüber Georgien lockere.

Der Rat der EU-Außenminister hatte schon vor Tagen „tiefe Beunruhigung“ über das russische Vorgehen gegen Georgien bekundet und Moskau aufgefordert, alle Maßnahmen einzustellen, die sich gegen in Russland lebende Georgier richten.

EU-Ratspräsident José Manuel Barroso und Außenbeauftragter Javier Solvana kündigten außerdem an, sie würden von Präsident Putin Erklärungen über den Mord an der vor zwei Wochen in Moskau erschossenen Journalistin Anna Politkowskaja verlangen. Seit Putins Amtszeit seien 13 Journalisten ermordet worden, dies illustriere eine „Krise der Strafverfolgung“, sagte Solana am Dienstag in Luxemburg.

Auch die Energiepolitik steht auf der Agenda. Nach Darstellung des russischen Energieministers Wiktor Christenko drehe sich der Gipfel im Grunde um nichts anderes: „Ohne jeden Zweifel geht es nur um Energie“, sagte Christenko in Moskau. Lahti sei eine Fortsetzung des G-8-Gipfels dieses Sommers in Sankt Petersburg. Die Perspektive sei ein liberalerer Austausch von Waren und Arbeit.

Nun ist es aber gerade Moskau, das sich hartnäckig weigert, die Energiecharta, die eine Öffnung der russischen Öl- und Gaspipelines für andere Anbieter vorsieht, zu unterzeichnen. Russland lehnt dies mit dem Hinweis ab, eine Liberalisierung liefe nationalen Interessen zuwider. Konkret heißt das für den Kreml: Das Faustpfand Energie wird man nicht international akzeptierten Spielregeln opfern, denn dies wäre eine Preisgabe russischer Souveränität. „Ich bin dafür den Druck aufrecht zu halten und Präsident Putin zu bitten, die Energiecharta zu ratifizieren“, meinte dennoch ein unverdrossener Barroso. Die Europäer sollten nicht aufgeben.

Dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Russland ist zum Westen und zur EU deutlich auf Distanz gegangen. Von einer Einbindung in die EU will in Moskau niemand mehr etwas wissen, und die lange Zeit beschworene strategische Partnerschaft ist längst zu einem hohlen Popanz verkommen. Russland begreift sich aufgrund der Energieressourcen wieder als ein eigenständiges geopolitisches Gravitationszentrum, das mal mit Europa kooperieren, mal gegen die EU opponieren wird. Mehr als eine Anbindung an Europa ist daher unrealistisch. Mahnende Zeigefinger, gemeinsame Werte zu achten und einzuhalten, quittiert Moskau inzwischen mit einem müden Lächeln. Dies waren einmal gemeinsame Hoffnungen, nie gemeinsame Werte. Eine realistische Revision der Beziehungen zu Russland ist überfällig. Schon um sich gegen Enttäuschungen zu immunisieren.

KLAUS-HELGE DONATH

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