So kommen wir durch

Panik, Obsession, Ritualität und Betäubung: Eine Ausstellung im Kunsthaus Dresden fragt nach den Folgen von ökonomischen, sozialen und psychologischen Zwängen in Zeiten neoliberaler Ökonomie

VON ROBERT HODONYI

Der Frage nach dem Gefühlszustand der Leute in Zeiten einer neoliberalen Ökonomie und den damit oft jahrelang einhergehenden prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen geht das Kunsthaus Dresden in seiner neuen Ausstellung nach. Der Blick von „You won’t feel a think: Zu Panik, Obsession, Ritualität und Betäubung“ ist auf persönliche Bewältigungsstrategien gerichtet, auf die (Selbst-)Beobachtung bei eskapistischen Fluchten aus dem Alltag, auf Rituale des Einfrierens von Zeit, um privaten Freiraum zu gewinnen. Ausgespart bleibt die Erkundung der gesellschaftlichen Ursachen für soziale, wirtschaftliche oder psychologische Zwänge. Sie werden als gegeben vorausgesetzt. Dadurch erscheinen allerdings einige der Arbeiten ein wenig kontextlos.

In der Videoarbeit „Karoshi“ der schwedischen Künstlerin Anne Olofsson sieht man eine junge Frau morgens im Dämmerlicht des neuen Tages voll gepackt mit Einkaufstüten durch die menschenleeren Straßen einer Stadt hetzen. Man weiß nicht, wo sie herkommt und wo sie hingeht. Plötzlich scheinen alle körperlichen Funktionen zu versagen, sie stürzt und bleibt liegen. Die Kamera entfernt sich von ihr, ohne anzuhalten, bis sie nur noch als kleiner Punkt erkennbar ist.

Während bei Olofsson der Zusammenbruch als letzte Stufe eines langen Prozesses der körperlichen Überstrapaziertheit und Vereinsamung lesbar ist, widmen sich andere Arbeiten mentalen Ausweichbewegungen. Dass Hineinwünschen in eine fremde Identität kommt zum Beispiel im „Manipulator“ des polnischen Künstlers Pawel Kruk zum Ausdruck. Michael Jordan repräsentiert hier die Funktionsmechanismen der Popkultur und wird zur Projektionsfläche des künstlerischen Alter Egos. Pawel Kruk imitiert in seinem Video nicht nur das äußerliche Image Jordans, sondern auch die geschmeidigen Bewegungsabläufe und die perfekte Beherrschung des Balls. Durch die Unschärfen in den Sequenzen ist am Ende dann gar nicht mehr feststellbar, ob es sich bei die- ser athletischen Sportlerfigur um Original oder Fälschung handelt.

Die labyrinthische Raumstruktur des Kunsthauses bildet für die Ausstellung einen passenden Hintergrund, weil sie die Wirkung der einzelnen Arbeiten partiell verstärkt. Auf sechs Bildschirmen im schmalen, schlauchartigen Gang des ersten Obergeschosses ist zum Beispiel Susanne Weirichs „Silent Playground“ zu sehen. Die Arbeit greift die Authentizitätsfiktion virtueller Strategiespiele und ihrer architektonischen Optik auf und bricht sie auf mehrfache Weise. Die Schauspielerin Inga Busch schlüpft in die Rolle multipler Avatars und spielt auf den Bildschirmen mehrere Hauptrollen gleichzeitig, sodass jede Form linearer Narrationen durch das permanente Zurücksetzen der Handlung systematisch verhindert wird.

Nicht nur in dieser Arbeit ist dabei ein Changieren zwischen „Bildern des glücklichen Raumes“ (Gaston Bachelard) auf der einen Seite und der Inszenierung von „unheimlichen Räumen“ (Antony Vidler) auf der anderen Seite festzustellen. Die Entwürfe von möglichen glücklichen Räumen, wie etwa Ursula Döbereiners neobarocke, digitalisierte Architekturtapete, die auch auf das aufdringliche Selbstverständnis Dresdens anspielt, repräsentieren dabei imaginäre Architekturen als virtuelle Fluchtpunkte und als Symbole für ein besseres, spannenderes Leben. Währenddessen kommt es in den Räumen des Unheimlichen, wie in Lise Harleys „His being so dark“, zu Kontrollverlust, Auflösungserscheinungen des Selbst. Die Installation des bulgarischen Künstlers Ivan Moudovs arbeitet in diesem Sinn mit dem Fahrstuhl als Kollektivsymbol für klaustrophobische Ängste und Topophobie. Denn begibt man sich in Moudovs Fahrstuhl, der gleichzeitig auf die schicke neue Business-Architektur in Osteuropa verweist, schließen sich die Türen und nur der Liftboden bewegt sich langsam nach oben, sodass der Fahrgast immer weiter in die Knie gehen muss, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. In dieser Position ist man dann gezwungen, einige Zeit zu verharren, bevor sich die Tür wieder öffnet.

Zwischen diesen Extremen der Raumerfahrung bewegt sich der polnische Künstler Piotr Kopik mit seiner Installation „There is some Escape II“. Für seine antiarchitektonische, antiurbane Urhütte, die gerade Platz für einen Menschen bietet, verbaute er Hausmüll und andere Abfallprodukte der Konsumgesellschaft. Ob es sich um den privaten Schutzraum eines vom Raster der Moderne genervten Großstädters oder um eine verzweifelte Behausung der Ärmsten der Armen handelt, wie etwa auf den Müllkippen von Mexiko-Stadt zu finden, bleibt unbefriedigenderweise offen.

Bis 5. November 2006