Appelle mit und ohne Moral

Wer sein Anliegen in den Medien nicht wiederfindet, meldet sich immer häufiger per Anzeige zu Wort. Während die einen so bittere Wahrheiten verkünden, setzen andere auf billige Propaganda

VON STEFFEN GRIMBERG

Unsere Bundeskanzlerin erreichten am Freitag zwei höchst unterschiedliche Botschaften: „Europa muss in Bezug auf Darfur handeln“, lautete die eine mit Verweis auf die ethnischen Säuberungen im Westen des Sudan. Die zweite, typisch deutsch, spielt dagegen vor der eigenen Haustür: „Entweder Deutschland wächst – oder die Unterschicht“. Beiden Botschaften gemeinsam war dies: Sie waren als jeweils großformatige Anzeigen in einer überregionalen Zeitung geschaltet (siehe Ausrisse).

Nun ist es zunächst nichts Ungewöhnliches, dass sich bestimmte Interessengruppen auf diese Weise zu Wort melden, um ihre Sicht der Dinge zu einer aktuellen Debatte beizutragen – oder eine Diskussion überhaupt erst einmal anzustoßen. Gerade in diesem Punkt ist die Kampagne, hinter der die britische Organisation Protectdarfur steht, geradezu beispielhaft: Die Ereignisse im Sudan werden von vielen unabhängigen Beobachtern als Völkermord eingestuft – und finden trotzdem in den deutschen Medien kaum Aufmerksamkeit. Afrika ist wie immer sehr, sehr weit weg. Unterzeichnet ist der offene Brief in Sachen Darfur an die „sehr geehrte Frau Merkel“ von 120 Überlebenden „des Holocaust und der Genozide in Kambodscha, Ruanda und Bosnien“. Sie bitten die deutsche Regierungschefin eindringlich, beim Treffen der EU-Staaten in Finnland ihren Einfluss geltend zu machen und dafür zu sorgen, dass Europa endlich selbst aktiv wird – da, so das Schreiben, China die Vereinten Nationen „als Geisel“ halte und so wirkungsvolle Maßnahmen wie Sanktionen verhindere: Es gibt „keine solche Ausrede für ein Unterbleiben von Handlung von Seiten der EU“. Und auch wenn der vermutliche englische Originaltext in der Übersetzung etwas unbeholfen wirkt – der ehrenwerte, couragierter Auftritt nötigt Respekt ab. Die Organisation (www.protectdarfur.org) wird von der Aegis-Stiftung (www.aegistrust.org) unterstützt, die sich 2000 nach dem Genozid in Ruanda gegründet hat, zu den weiteren Förderern gehört die Pears-Stiftung des britischen Immobilienmagnaten William Pears.

Ganz anders sieht es mit den Cleverles aus, die hinter der zweiten Anzeige des Tages stecken: Die plakative wie plumpe Unterschichtsnummer ist auf dem Mist der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) gewachsen. Die nennt sich im Untertitel zwar „überparteiliche Reformbewegung von Bürgern, Unternehmen und Verbänden“, ist aber in Wirklichkeit quasi im Vollbesitz des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und ähnlicher Gruppierungen – und fungiert höchst erfolgreich als deren Zweitlautsprecher. „Wachstum bringt Arbeit. Arbeit hält die Gesellschaft zusammen“ – so lautet kurz und bündig das Weltbild der „APO des Kapitals“. Und wer nicht arbeitet, ist irgendwie doch selbst schuld, dürfte in dieser Logik die nächste Stanze lauten. Doch das traut sich die INSM dann doch noch nicht in Groß und Bunt unters Volk zu streuen.

Braucht sie auch nicht, ja selbst ihre Anzeigen sind längst nicht so nötig wie die von Protectdarfur und ähnlichen Organisationen. Denn anders als diese hat die INSM keinerlei Schwierigkeiten, ihre Botschaften in die Medien zu schleusen. Dafür sorgen prominente Gesichter wie ehemalige Ministerpräsidenten (Lothar Späth), erfolgreiche Unternehmer (unter anderem Roland Berger) oder Wissenschaftler (wie der anscheinend überall präsente Rechtsaußen-Historiker Arnulf Baring), die der INSM konsequenterweise als sogenannte „Botschafter“ dienen. Exklusive Medienkooperationen sorgen dafür, dass es ihr auch weiterhin gelingt, ihren „neoliberalen Mainstream durchzusetzen“, wie es der Kommunikationsexperte Siegfried Weischenberg formuliert. Nur dass sie dabei meist nicht ganz so plump sind wie in der gestrigen Anzeige.