mail aus manila
: Der Taifun

Am Morgen haben wir uns noch beschwert: Als um halb sieben eine SMS von dem Kindergarten unserer Tochter kam, dass heute der Unterricht wetterbedingt ausfallen würde. Wetterbedingt? Hier scheint doch die Sonne!

Na gut, in der Nacht hatte es in Strömen geregnet. Aber jetzt sind nur ein paar Wolken am Himmel. Es ist jetzt eben Regenzeit hier in Manila, der Hauptstadt der Philippinen. Nun gut, da regnet es halt nun mal jeden Tag. Das kennen wir nun schon. Wir laufen mit Alice ja sogar noch zu Fuß zum Kindergarten! Aber die meisten Kinder werden doch vom Fahrer und dem Kindermädchen gebracht. Was macht da ein bisschen Regen schon aus?

Unsere Tochter verbringt den Vormittag mit ihrem Spielzeug. Aber als ich am Nachmittag meinen Rechner anschalten will, wird es im ganzen Haus dunkel. Im Radio, das dank Batterie noch läuft, heißt es, dass ein Sturm in den Vororten die Elektrizitätswerke ausgeschaltet hat. Dann ist auch der Sender weg, und der Sturm hat uns erreicht.

Wände aus Wasser treiben an unseren Fenstern vorbei. Es fängt an, durch das Dach zu tropfen. Draußen fliegen Äste und Müll vorbei. Das Telefon ist tot. Wir fangen an, den Boden aufzuwischen. Aber so viel wir auch wischen, es kommt immer noch mehr Wasser. Durchs Dach. Durch die Fensterritzen. Unter den Türen durch. Ich komme mir vor wie George Clooney in „Der Sturm“. Mein T-Shirt ist klatschnass. Meine Hose macht quatschende Geräusche.

Wir haben ein großes Haus. Was machen die Bewohner der Wellblechhütten, mit denen Manila durchzogen ist, wohl gerade? Wahrscheinlich Wasserschöpfen, wie wir auch. Das ist kein Regenzeitregen mehr. Das ist ein Taifun. Der erste, der seit über zehn Jahren über Manila hereinbricht. Wir wischen und wischen.

Um fünf Uhr ist der Sturm vorbei. Ich gehe zum nächsten Supermarkt, wo dank Notstromaggregat die Musikberieselung wieder läuft. Das findige Management hat Stände eingerichtet, an denen man Kerzen und Taschenlampen kaufen kann. Sie sind von Menschentrauben umringt.

Das Abendessen nehmen wir heute bei Kerzenschein ein, kalter Reis und kalte Kürbissuppe. Es ist wie Weihnachten in Deutschland. Plötzlich gehen die Lichter in der Nachbarschaft wieder an. Der Fernseher zeigt die Nachrichten. Manila ist verwüstet. Die ganze Stadt war kurzzeitig ohne Strom. Einige Stadtteile werden drei Tage lang keine Elektrizität haben. Behörden und viele Geschäfte bleiben zwei Tage lang geschlossen. Kurz bleibt die Zeit stehen.

In Manila sind schätzungsweise 100 Menschen durch den Taifun ums Leben gekommen. Von denen, die überlebt haben, langweilen sich manche ohne Strom zu Hause so sehr, dass sie in Stadtteile fahren, in denen sie noch nie waren, weil sie gehört haben, dass es dort schon wieder Strom gibt, gehen zu Starbucks und surfen mit ihrem Laptop über das Starbucks-WiFi-Netz im Internet. TILMAN BAUMGÄRTEL