Ein Unfall namens „Rudebox“

Jeder Superstar ist einsam. Aber keinem sieht man es derzeit so an wie Robbie Williams

Das Wichtigste vorweg: Es ist nicht alles schlecht an Robbie Williams neuem Album „Rudebox“. Ja, die britische Presse hat kein gutes Haar an der Platte gelassen, und auch in Deutschland findet sich bislang kaum ein liebes Wort. Unfokussiert sei sie, durcheinander, orientierungslos, ohne klare Idee, wohin sie ästhetisch eigentlich will, ein großangelegter Karriereabsturz. Tatsächlich hat Robbie Williams den Platz im Herzen eines jeden, dem an großem Pop etwas liegt, ja nicht nur mit seiner Musik erobert – er war vor allem auch ein großartiger Darsteller seiner selbst. Und diese traumwandlerische Unbekümmertheit, mit der er den Superstar gab, findet sich auch auf „Rudebox“ wieder: wenn auch als fröhlicher und bewusstloser Taumel.

Das war es aber auch schon mit dem Positiven. Denn „Rudebox“ anhören ist wie an einem Autounfall vorbeifahren: eine Erfahrung, die man nicht unbedingt wiederholen möchte, die einen aber noch eine ganze Weile beschäftigt und die einige Fragen aufwirft. Wie konnte das passieren? Tut es sehr weh? Wie schwer sind die Verletzungen? Ist die Polizei schon da? Wer zahlt den Schaden?

Letzteres ist am einfachsten zu beantworten: 80 Millionen Pfund hat die Plattenfirma EMI Robbie Williams 2002 für fünf Alben bezahlt und dafür 1.800 Angestellte entlassen. Keine seiner Platten hat seitdem die Erwartungen erfüllen können (außer die großartige Single „Feel“ von „Escapology“, die auch prompt zur Vielfachverwertung freigegeben wurde). Und, ja: Es tut weh, Robbie Williams so zu sehen. So sehr, dass man sich – ob man will oder nicht – in die Rolle der Polizei gedrängt fühlt. Irgendjemand muss den Schaden ja aufnehmen. Wie konnte es also dazu kommen?

An den Gästen liegt es nicht. Die Pet Shop Boys mischen auf zwei Stücken mit – gemeinsam wird das Stück „We’re The Pet Shop Boys“ von My Friend Robot gecovert. Lily Allen singt einige der Backgroundvocals. William Orbit hat zwei Stücke produziert. Der New Yorker Hiphop-Produzent Mark Ronson verantwortet das halbe Album. „Rudebox“ möchte ein Dance-Album sein, und dementsprechend werden die verschiedensten Stile kannibalisiert: Old School Hiphop, Rare Groove, Electro. Es gibt eine Reihe von Coverversionen – am ehesten gelungen „Louise“ von der Human League, vollkommen danebengegangen der Antiglobali-Heuler „King Of The Bongos“ von Manu Chao, den Robbie Williams singt, als wäre der König, um den es hier geht, tatsächlich der vollgekokste Bandchef, der dem Schlagzeuger sagt, was er zu spielen hat. Noch schlimmer: die autobiografischen Stücke „The 80’s“ und „The 90’s“, in denen Robbie rappenderweise das Woher und Wohin seines Lebens zu erklären versucht. Hat der gute Mann eigentlich niemanden, der ihm Bescheid sagt, wenn es gar nicht mehr geht?

Tatsächlich liegt hier einer der Hauptgründe für das „Rudebox“-Desaster – in der Einsamkeit, die es bedeutet, Robbie Williams zu sein. Ja, jeder Superstar der Robbie-Williams-Liga ist einsam. Aber in früheren Jahrzehnten gab es zumindest andere Stars, zu denen man herüberfunken konnte – eine Möglichkeit, die ihm verschlossen ist. Er ist schlicht der einzige globale Popstar, den die Neunziger hervor gebracht haben.

Das konnte er lange durch gelungene Strategien der persönlichen und künstlerischen Anschmiegsamkeit kompensieren, sei es seine Partnerschaft mit Guy Chambers oder seine Zusammenarbeit mit Kylie Minogue und Nicole Kidman oder sein nachträgliches Duett mit Frank Sinatra. Das funktionierte alles prächtig, weil Williams’ Kapital als Entertainer darin bestand, die zum Projekt passende Rolle einnehmen und gleichzeitig durch ein gewinnendes Lächeln ironische Distanz signalisieren und den Genuss daran darstellen zu können. Damit ist es nun aber vorbei. Elend, wer glücklich im Zitat gelebt hat und nun sein Ich sucht.

Die funktionierende Starmaschine der Neunziger waren die Castingshows – und genau dort ist Robbie Williams nun angelangt. „Rudebox“ ist ein Album, das sein Material genauso lieblos als Verfügungsmasse zum Selbstbeweis behandelt – als 80-Millionen-Pfund-Mann allerdings, nicht als hungriger Habenichts. Ein trauriger Anblick.

TOBIAS RAPP