Der Kritikerroman qualmt

Muss man Literaturkritiker sein, um Wolf Haas’ neuen Roman zu goutieren? Anmerkungen von der taz-Medienredakteurin

Seinen neuen Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ hat Wolf Haas in Form eines Interviews geschrieben. Ein Autor namens Wolf Haas wird darin von einer Kritikerin, die statt eines Namens die Funktionsbeschreibung „Literaturbeilage“ trägt, zu seinem neuen Roman befragt. Was daran die Krux ist, lässt sich am besten anhand einer kleinen Presseschau der bereits erschienenen Kritiken erklären: Es gibt Interviews mit Wolf Haas über seinen neuen Roman, es gibt Interviews mit Wolf Haas über Interviews und es gibt fiktive Interviews zwischen zwei Literaturkritikern zu Wolf Haas’ neuen Roman. Die Literaturkritiker, die sich für die reine Rezension entschieden haben, freuen sich indes über „diese Kreuzung von Metaroman mit dem Dialog“, die sie an „Don Quijote“ und „Tristam Shandy“ erinnert und in der sie sowohl eine „impertinent witzige Attacke gegen die akademische Deutungshoheit“ als auch „ein Stück humoristischer Gattungsakrobatik par excellence“ erkennen. „Das Wetter vor 15 Jahren“, Sie merken es, ist ein Kritikerroman im doppelten Sinne geworden: Die Kollegen Literaturkritiker fühlen sich geschmeichelt, weil sie selbst für literaturwürdig befunden worden sind.

Als Leserin, deren Berufsethos nicht zur Verhandlung steht, hat man indes das Gefühl, dass Haas die formale Anlage seines Romans wie eine Rauchbombe einsetzt. Bis man ein wenig Durchblick hat, muss man sich durch eine Menge Qualm kämpfen. Zum Beispiel erläutert der fiktive Autor Wolf Haas im Roman, wie er die Erzählung seines fiktiven Protagonisten zusätzlich fiktionalisiert hat, um sie romankompatibler zu kriegen. Wie gesagt: eine Menge Qualm.

Zugegeben, dazwischen blitzt die Liebesgeschichte von Vittorio und Anni immer wieder auf, von der das Buch im Buch handelt. Der deutsche Vittorio Kowalski ist als Kind jahrelang im Sommer mit seinen Eltern nach Österreich in das Bergdorf Farmach gefahren, wo er sich schließlich, zum Teenager herangewachsen, in die Pensionswirtstochter Anni Bonati verliebt. Doch just der Sommer, in dem sich Vittorio und Anni näherkommen, wird zum letzten Sommer, in dem die Kowalskis nach Österreich fahren. Erst 15 Jahre später sehen sich die beiden wieder – ausgelöst durch einen Auftritt von Vittorio bei „Wetten dass ...?“, wo er wettet, die meteorologischen Daten von Annis Heimatort für jeden einzelnen Tag der vergangenen 15 Jahre benennen zu können.

Was im letzten Sommer von Anni und Vittorio tatsächlich passiert ist und was danach, das muss man sich ziemlich mühsam aus den Informationen zusammenklauben, die über das Interview zwischen Wolf Haas und der Literaturbeilage gestreut sind. Manchen Literaturkritiker hat „Das Wetter vor 15 Jahren“ deshalb an die Krimis um den Privatdetektiv Simon Brenner, mit denen Wolf Haas bekannt geworden ist, erinnert. Die seien ja auch eine Spurensuche der besonderen Art.

Andere Literaturkritiker haben sich auf ganz gegenteilige Art an die Brenner-Romane erinnert gefühlt: Wie „Das Wetter vor 15 Jahren“ kein Liebesroman sei, seien auch die Brenner-Krimis gar keine Krimis gewesen, sondern „Sprengsätze des Subversiven, hochexplosive Mischungen von sprachlicher Artistik und Gesellschaftssatire, die Wolf Haas im morschen Gehäuse des Kriminalromans zur Zündung brachte und damit das Genre bis zu den Fundamenten in Schutt und Asche legte“. Nun, auch wenn man mit der Verpackungsschwindel-These sympathisiert, muss man sich fragen, wie produktiv diese Täuschung ist. Haas’ Brenner-Romane waren tatsächlich jenseits des Kriminalfalls auch immer Erkundungen über Österreich. In jedem Buch bereiste der Brenner ein anderes Bundesland und brachte vom festspieletrunkenen Salzburg bis zur verarmten Steiermark dessen spezifische Pathologien zum Vorschein. Diese Konstruktion hat über sechs Bücher getragen und hätte wohl auch noch weiter funktioniert, wäre Haas ihrer nicht müde geworden. Bei „Das Wetter vor 15 Jahren“ weiß man: Der Witz reicht genau für ein Buch. Beim nächsten muss sich Haas schon wieder was Neues überlegen.

Aber kann man Haas den Verpackungsschwindel vorwerfen? Nein. Schließlich ist das hier statt einer Literaturkritik am Ende auch eher eine Literaturkritiker-Kritik geworden. Das Buch selber ist übrigens trotz allem ziemlich charmant und streckenweise richtig lustig. HANNAH PILARCZYK

Wolf Haas: „Das Wetter vor 15 Jahren“. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006, 224 Seiten, 18,95 Euro