„Einfach Zinszahlungen stoppen“

Der Senat hat mit „Karlsruhe“ auch künftig den perfekten Sündenbock für seinen Sparkurs, sagt Carl Waßmuth. Der Attac-Aktivist fordert den Senat auf, aus der „Logik des Verscherbelns“ auszubrechen

Interview ULRICH SCHULTE

taz: Herr Waßmuth, die Politik will nach dem Karlsruher Urteil vor allem eins: weiter sparen. Ziemlich einfallslos, oder?

Carl Waßmuth: Ich finde Wowereit und Co. ganz und gar nicht einfallslos. Sie haben sich nämlich einen wunderbaren Sündenbock für die Finanzmisere besorgt. Vorher musste das Gerichtsurteil herhalten für einen neoliberalen Sparkurs, der angeblich die einzige Chance für Bundeshilfe war. Und alle künftigen Schnitte wird Wowereit mit Karlsruhe begründen.

Wie müsste die neue Regierung aus Ihrer Sicht handeln?

Sie müsste ihre bisherige Logik über Bord werfen. Es ist Unsinn, das Eigentum des Landes zu verschleudern, um kurzfristige Spareffekte zu erzielen. Der Verkauf der Hälfte der Wasserbetriebe im Jahr 1999 war irrsinnig – seitdem stecken sich Privatfirmen wie RWE die vom Land garantierte Rendite ein und erhöhen regelmäßig die Preise.

Für den Verkauf können Sie den aktuellen Senat nicht angreifen.

Wer sagt denn, dass man die Verträge mit den Mitinhabern der Wasserbetriebe nicht brechen kann? Juristen können da schon einen Weg finden. Aber dazu fehlt unseren Politikern der Wille oder der Mut. Außerdem findet auch Rot-Rot nicht aus der Logik des Verscherbelns heraus. Die Koalition will Wohnungen und die Sparkasse verkaufen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Solches Eigentum gestaltet aber das Leben in der Stadt.

Könnte man nicht auch sagen: Wenn die Schulden eh weiter steigen, warum dann nicht noch mal richtig prassen?

Im Prinzip schon, wobei eine „Ist-alles egal“-Stimmung immer gefährlich ist. Argentinien hat 2001, als es dem Land richtig schlecht ging, seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds einfach nicht bedient. Auch Berlin könnte doch seine Zinszahlungen an die Banken stoppen, bis der Haushalt ausgeglichen ist. Dann würde sich der Obersparer Wowereit endlich mal mit den Richtigen anlegen – nämlich mit reichen Banken, nicht mit den ärmsten Berlinern.

Vor allem die wird der drohende Sparkurs aber treffen. Wie kann man das verhindern, ohne gleich den Kapitalismus auszumanövrieren?

Die Politik bleibt ja souverän, trotz des Urteils. Sie darf sich nicht dazu erpressen lassen, etwa das Sozialticket abzuschaffen. Und sie müsste sich trauen, Geld wirklich umzuverteilen. Im Moment existiert eine gewaltige Bürokratie in der Stadt, die sich damit beschäftigt, den Menschen wenig Geld zuzuteilen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle wäre vermutlich günstiger. Berlin könnte sich die Bürokratie sparen, dafür bekommt jeder, der es braucht, mehr Geld. Ganz wichtig ist: Die Politik muss dem Bürger vertrauen.

Inwiefern?

Sie nutzt ein reichhaltiges Instrumentarium nicht, obwohl Berlin eine ideale Modellstadt dafür wäre. Beispiel Bürgerhaushalt. Wenn die Menschen mitbestimmen dürften, wohin ihr Steuergeld fließt, käme es kaum zu Fehlinvestitionen. Oder der Senat könnte die Bürger mit Anleihen an der BVG beteiligen. Unternehmen funktionieren immer dann gut, wenn sich die Kunden stark mit ihnen identifizieren. In Berlin existieren hunderte Tauschringe, Nachbarschaftsinis, Volksküchen oder Kiezprojekte – das ist der wahre Reichtum der Stadt.